RECHT UND KAPITALMARKT

Warten auf die große PIPE-Welle

Eigenkapitalbeschaffung durch private Investments in börsennotierte Unternehmen wird verstärkt diskutiert - Begrenzung bremst

Warten auf die große PIPE-Welle

Von Tobias Larisch und Oliver Seiler *)In den vergangenen Monaten ist von Akteuren auf dem M&A-Markt vielfach die Erwartung geäußert worden, dass nun (auch) in Deutschland die Zeit für PIPE-Transaktionen gekommen sei. PIPE steht für “Private Investment in Public Equity”. Es geht mithin um den individualvertraglich ausgehandelten Erwerb einer Minderheitsbeteiligung an einem börsennotierten Unternehmen unterhalb der übernahmerechtlichen Kontrollschwelle von 30 % der Stimmrechte. Rahmenbedingungen günstigDass die Rahmenbedingungen für PIPE-Transaktionen günstig seien, wird vor allem auf drei Gesichtspunkte gestützt: Erstens verfügen vor allem Private-Equity-Investoren, Sovereign Wealth und Pension Funds wie schließlich Infrastrukturfonds über Milliarden Euro an freien Investitionsmitteln (“dry powder”). Der damit einhergehende Anlagedruck erhöht die Bereitschaft zu innovativen Anlagestrategien.Zweitens hat die Covid-19-Pandemie bei vielen börsennotierten Unternehmen Liquiditätsengpässe herbeigeführt, die nicht ohne Weiteres durch Bankenfinanzierungen überbrückt werden können. In einem volatilen Umfeld ist auch die tradierte Platzierung neuer Aktien über den Kapitalmarkt an eine Vielzahl von Investoren, beispielsweise im Rahmen eines beschleunigten Bookbuilding-Prozesses, nicht sicher oder unter Umständen nicht zum gewünschten Zeitpunkt möglich. Dies kann die Bereitschaft auf Seiten des börsennotierten Unternehmens erhöhen, zusätzliche (Eigen-)Mittel für das Unternehmen über eine PIPE-Transaktion zu erlösen. Und drittens hat die Covid-19-Pandemie in vielen Fällen zu einer jedenfalls vorübergehenden Eintrübung des Börsenkurses geführt, so dass der Einstieg des Investors im Wege einer PIPE-Transaktion heute wirtschaftlich attraktiver erscheinen mag als etwa noch vor zwölf Monaten.Mit Blick auf diese Rahmenbedingungen fragt man sich, warum die große Welle von PIPE-Transaktionen in Deutschland gleichwohl noch auf sich warten lässt. Hierfür dürften verschiedene Gründe ausschlaggebend sein. Zunächst ist der Umfang einer PIPE-Transaktion von vornherein rechtlich begrenzt. Erfolgt die Kapitalerhöhung wie üblich im Wege eines sogenannten vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses, darf die Zahl der neu ausgegebenen Aktien die Schwelle von 10 % des bestehen-den Grundkapitals der Gesellschaft nicht überschreiten. Zudem darf der Platzierungspreis der neuen Aktien den gegenwärtigen Börsenkurs der bereits börsennotierten Aktien nicht wesentlich unterschreiten. Strengere AnforderungenDeutschland ist mit diesen Anforderungen strenger als andere europäische Rechtsordnungen. In Großbritannien und Frankreich besteht für börsennotierte Unternehmen zum Beispiel gegenwärtig die Möglichkeit, das Kapital unter Ausschluss des Bezugsrechts um immerhin bis zu 20 % des bestehenden Grundkapitals zu erhöhen. Ein entsprechender Vorschlag des Deutschen Aktieninstituts (DAI), die Schwelle auch in Deutschland im Zuge der Covid-19-Pandemie vorübergehend auf 20 % anzuheben, wurde vom deutschen Gesetzgeber leider bislang nicht aufgegriffen.Hinzu kommt, dass die mittels PIPE erworbene Minderheitsbeteiligung dem Investor nur eine eingeschränkte Einflussnahme vermittelt. Neben der Ausübung von Aktionärsrechten in der Hauptversammlung kommt zwar die Vertretung im Aufsichtsrat der Gesellschaft in Betracht. Selbst eine Beteiligung in Höhe von 10 % gibt indes keinen rechtlich einklagbaren Anspruch auf einen Aufsichtsratssitz. Der PIPE-Investor kann seine Vertretung im Aufsichtsrat auch dadurch zu verwirklichen suchen, dass er mit (Groß-)Aktionären sowie gegebenenfalls mit dem Vorstand der Zielgesellschaft Abreden im Hinblick auf eine künftige Vertretung im Aufsichtsrat trifft. Hierbei muss aber sorgfältig darauf geachtet werden, dass es zwischen den beteiligten Aktionären nicht zu einem Acting in Concert und dadurch zu einer gegenseitigen Zurechnung von Stimmrechten kommt. Andernfalls muss der PIPE-Investor bei Überschreiten der 30-%-Schwelle ein Pflichtangebot an alle Aktionäre der Zielgesellschaft abgeben. Insbesondere Private-Equity-Investoren betrachten diese eingeschränkten oder mit Fußangeln versehenen Einflussnahmemöglichkeiten oftmals negativ.Wirtschaftlich besteht die Herausforderung für Investoren häufig schlicht darin, geeignete Zielgesellschaften zu identifizieren. Denn etliche interessante Kandidaten verfügen bereits über Ankeraktionäre oder befinden sich in der Hand von Familiengesellschaftern, die insbesondere in Zeiten fallender Börsenkurse nicht ohne Weiteres willens sind, den mit einer PIPE-Transaktion einhergehenden Verwässerungseffekt hinzunehmen. AußenwirtschaftsrechtSchließlich sind je nach Branche auch bei PIPE-Transaktionen die zunehmend im Fokus stehenden außenwirtschaftsrechtlichen Vorgaben zu beachten. Die EU-Kommission hat deutlich zum Ausdruck gebracht, dass kritische Unternehmen und Schlüsseltechnologien vor einem “Ausverkauf” im Zuge der Covid-19-Pandemie geschützt werden sollen. Der Anwendungsbereich der außenwirtschaftsrechtlichen Kontrolle wurde in der Folge auch in Deutschland erheblich ausgeweitet. Erfasst werden nunmehr insbesondere Investitionen in Bereiche der kritischen Infrastruktur ab einem Schwellenwert von 10 %. Es bleibt abzuwarten, in welchem Umfang die Behörden in den nächsten Monaten von ihren erweiterten Befugnissen Gebrauch machen werden.Aus Sicht der Zielgesellschaft können PIPE-Transaktionen insbesondere aufgrund ihrer zügigen Umsetzbarkeit und der damit verbundenen schnellen (Eigen-)Kapitalbeschaffung attraktiv sein. Zudem erlauben sie es der Gesellschaft, einen neuen Ankeraktionär (etwa zur Abwehr aktivistischer Aktionäre) zu gewinnen, ohne dass dies notwendig mit einer aufwendigen Due Diligence verbunden ist (regelmäßig beschränkt sich diese auf die öffentlich verfügbaren Informationen über die Gesellschaft).Dies entbindet den Vorstand der Zielgesellschaft indes nicht davon, im Einzelnen zu prüfen, ob die PIPE-Transaktion im Unternehmensinteresse liegt. Insbesondere muss dargelegt werden, dass der Ausschluss des Bezugsrechts der bestehenden Aktionäre im Rahmen der Kapitalerhöhung zugunsten des Investors sachlich gerechtfertigt ist. Hierbei ist in erster Linie auf einen marktnahen Platzierungspreis und den Kapital-bedarf abzustellen, aber auch zu berücksichtigen, welche Vorteile die PIPE-Transaktion und die Gewinnung des betreffenden Investors für das Unternehmen im Einzelfall begründet und welche Anlagestrategie der Investor verfolgt. Liberalisierung als KatalysatorDazu gehört etwa, ob sich der Investor im Rahmen eines sogenannten Lock-ups verpflichtet, die Aktien für einen gewissen Zeitraum zu halten und/oder allenfalls marktschonend zu veräußern. Auch kann die Beteiligung am Eigenkapital mit einer strategischen Kooperation in bestimmten Geschäftsfeldern verbunden sein (was freilich bei reinen Private-Equity-Investoren seltener vorkommen wird). Bei der Entscheidung über einen etwaigen Abschlag vom Börsenkurs wird auch zu bedenken sein, dass die Platzierung der Aktien gerade nicht über den Kapitalmarkt erfolgt, so dass die damit verbundenen Risiken wegfallen. Insgesamt verfügt der Vorstand bei seiner Entscheidung innerhalb dieser Leitplanken über einen nicht unerheblichen Ermessensspielraum.Ungeachtet dieser vergleichsweise überschaubaren rechtlichen Vorgaben beschränkt vor allem die Limitierung der Beteiligung auf 10 % des Grundkapitals gegenwärtig die Attraktivität von PIPE-Investments. Gleichwohl werden sie derzeit verstärkt diskutiert, und eine gesetzgeberische Liberalisierung nach dem Vorbild Großbritanniens oder Frankreichs könnte als weiterer Katalysator wirken. *) Dr. Tobias Larisch und Dr. Oliver Seiler sind Partner von Latham & Watkins.