RECHT UND KAPITALMARKT

Risiken zwischen Signing und Closing

Erwerber müssen kartellrechtliche Grenzen in Übernahmen beachten

Risiken zwischen Signing und Closing

Von Marcel Nuys *)Das tat weh: Die Europäische Kommission verhängte im Juni eine Strafe in Höhe von 28 Mill. Euro gegen Canon. Das Unternehmen habe die geplante Übernahme von Toshiba Medical Systems teilweise vollzogen, ohne die erforderliche kartellrechtliche Genehmigung abzuwarten. Ein solcher Frühstart (englisch: Gun Jumping) ist sowohl nach deutschem als auch nach europäischem Kartellrecht verboten. Die europäischen Aufsichtsbehörden schauen zunehmend genauer hin, ob und in welchem Umfang der Erwerber bereits vor Genehmigung versucht, Einfluss auf das Target zu nehmen. Einmischung nicht erwünschtAus Verkäufersicht wäre es am einfachsten, bis zum Closing jeden Einfluss des Käufers auf das Target zu unterbinden. Dies wäre der sicherste Weg, Ermittlungen der Aufsichtsbehörden wegen eines möglichen Gun Jumping zu vermeiden. Zudem sind Target und Käufer häufig in derselben Branche tätig oder sogar direkte Konkurrenten. Da lässt man sich ungern in die Karten schauen, solange der Deal nicht in trockenen Tüchern ist.Gleichzeitig hat ein Erwerber aber ein berechtigtes Interesse, bereits ab Signing zumindest gewisse – bis zur Genehmigung durch die Aufsichtsbehörden aber stark limitierte – Einflussrechte auf das Zielunternehmen zu haben. Denn die kartellrechtliche Genehmigung kann sich viele Monate hinziehen, und in dieser Zeit werden beim Target unter Umständen Entscheidungen getroffen, die große wirtschaftliche und finanzielle Tragweite entfalten können.Unterschiedliche Auffassungen darüber, ob eine einzelne Maßnahme des Käufers geboten und gerechtfertigt war, können deshalb leicht in eine Post-Merger-Streitigkeit münden. Diese Auseinandersetzungen können Jahre dauern, viel Geld kosten und im schlimmsten Fall den Deal nachträglich platzen lassen. Im Falle einer Rückabwicklung des Verkaufs hat der Verkäufer meist viel Geld und Zeit verloren und fängt wieder bei null an. Schwierige AbgrenzungBei welchen Entscheidungen also sollte der Verkäufer den Käufer mit einbeziehen? Äußerste Grenze ist das kartellrechtliche Vollzugsverbot, das den Parteien einen Vollzug vor Freigabe durch die Aufsichtsbehörden verbietet, wie Canon gerade schmerzhaft erfahren musste. Bei Maßnahmen des laufenden Geschäftsbetriebs des Targets (“ordinary course of business”) darf der Erwerber jedenfalls nicht mitreden.Allerdings darf er bei gewichtigen Entscheidungen Einfluss nehmen, etwa wenn das Target einen Neubau plant oder sich anschickt, neue Geschäftsfelder zu erschließen. Es empfiehlt sich, bereits im Kaufvertrag ein Mitwirkungsrecht des Erwerbers bei derart bedeutsamen Entscheidungen mit aufzunehmen.Schwieriger wird es im Mittelfeld, etwa bei der Verlängerung eines langfristigen Mietvertrags oder einem Produktlaunch. Hier kommt es auf die Reichweite des Vollzugsverbots an und die Auslegung durch die zuständigen Aufsichtsbehörden an. Doch diese Auslegung ist bislang nicht eindeutig und abschließend erfolgt. Das Bundeskartellamt und der Bundesgerichtshof vertreten traditionell eine weite Auslegung des Verbots und wenden es auf alle Maßnahmen an, die in Zusammenhang mit dem Zusammenschluss erfolgen und geeignet sind, seine Wirkung zumindest teilweise vorwegzunehmen.Dagegen hatte der EuGH in einer Entscheidung im Mai 2018 das Verbot enger ausgelegt. Das Gericht wollte unter das Verbot nur solche Handlungen fassen, die “ganz oder teilweise, tatsächlich oder rechtlich zum Kontrollwechsel des Zielunternehmens beitragen”. Die damit verbundene Hoffnung übernahmewilliger Unternehmen auf mehr Freiheit zwischen Signing und Closing war freilich von kurzer Dauer, denn die aktuelle Kommissionsentscheidung im Fall Canon scheint (zumindest in Teilen) eine weitere Auslegung des Verbots zugrundzulegen. Die Entscheidungsgründe werden hier hoffentlich Klarheit bringen. Mehrstufiges VorgehenIn all jenen Fällen, die sich nicht eindeutig zuordnen lassen, empfiehlt sich ein abgestuftes Vorgehen. Ist bei einer anstehenden Maßnahme des Targets unklar, ob sie zum “ordinary course of business” gehört, so sollte der Verkäufer im ersten Schritt den Erwerber über die geplante Maßnahme informieren.Die Information darf unter Wettbewerbern ausschließlich an ein sogenanntes Clean Team des Erwerbers gehen, einen Personenkreis ohne operative Funktion, der die Information nur in Zusammenhang mit der geplanten Übernahme nutzt.Können sich Verkäufer und Clean Team nicht über die Maßnahme einigen, so sollten sie ein Streitbeilegungsverfahren vorsehen. Eine Möglichkeit kann darin bestehen, die strittige Frage dem Bundeskartellamt oder der Europäischen Kommission vorzulegen. Sieht die Behörde die Einflussnahme des Käufers unkritisch, drohen weder Gun Jumping noch Post-M&A-Streitigkeiten – andernfalls sollte die Einflussnahme zur Sicherheit beider Parteien vermieden werden.*) Dr. Marcel Nuys ist Partner von Herbert Smith Freehills.