Arbeitsmarkt

Spaniens Unternehmen ringen um Arbeitskräfte

Trotz einer Arbeitslosenquote von über 13%, klagen mehrere Branchen in Spanien derzeit über den akuten Fachkräftemangel, auch bei gering qualifizierten Jobs wie in der Gastronomie. Eine Lösung könnte die Zuwanderung sein.

Spaniens Unternehmen ringen um Arbeitskräfte

Von Thilo Schäfer, Madrid

In Spaniens Touristengebieten herrscht derzeit Betrieb, als hätte es die Pandemie nie gegeben. Die Branche freut sich über die Rückkehr der ausländischen Besucher, die bis Juni fast das Niveau von 2019 erreichte. Da auch die Spanier selbst verstärkt Urlaub zuhause machen, ist die Auslastung der Hotels und Restaurants hoch. Abgesehen vom Chaos an den Flughäfen in vielen Ländern, wird so mancher Stammgast vielleicht merken, dass der Service etwas schleppender ist als vor Corona. Denn das Gastgewerbe und die Hotellerie haben Probleme, Personal zu finden.

Damit stehen sie nicht allein. Doch wenn in Deutschland der Mangel an Arbeitskräften bei einer recht niedrigen Erwerbslosenquote von 5,2% ein normales Phänomen ist, wirkt dieses Problem in Spanien mit einer Quote von 13,7% verwunderlich. Die Tendenz am Arbeitsmarkt ist seit einiger Zeit positiv. Im Juni sank die Zahl der Menschen ohne bezahlten Job weiter auf immerhin noch 2,88 Millionen. Dennoch verzeichnet das Statistikamt INE weit über 100000 freie Stellen. Das gilt nicht nur für hoch qualifizierte Berufe. Wie die Wirte und Hoteliers klagen auch die Unternehmen im Bau, Landwirte und der Transportsektor darüber, dass sie zu wenig Personal finden.

Die Linksregierung arbeitet daher gerade an einer Reform, um mehr ausländische Arbeitskräfte auf den Markt zu bringen. In einem ersten Entwurf wird eine Umfrage der spanischen Notenbank von November zitiert, die auf eine „unzureichende Verfügbarkeit von Arbeitskräften infolge rückläufiger Migrationsströme“ hinweist. Der Minister für Migration, Inklusion und die Sozialversicherung, José Luis Escrivá, will es daher Personen von außerhalb der EU erleichtern, in Spanien einen regulären Job zu finden. Die bereits bestehende Möglichkeit, Saisonarbeiter für einen bestimmten Zeitraum ins Land zu holen, soll ausgebaut werden. Wer eine Ausbildung für eine von der Regierung ausgewiesene Branche, in der Fachkräftemangel besteht, einschlägt, soll ebenfalls schneller Resident werden. Schließlich will man den gut 50000 Studenten aus Nicht-EU-Ländern einen Job neben dem Studium zu erlauben, was bislang nicht gestattet ist.

Tarifpartner uneinig

Es überrascht nicht, dass die Initiative von Minister Escrivá bei den Tarifpartnern auf gegensätzliche Reaktionen stieß. Während die Arbeitgeber die Aussicht auf mehr Arbeitskräfte begrüßen, warnen die Gewerkschaften, dass der Vorstoß die schlechten Bedingungen in einzelnen Branchen verschärfen werde. Nach Meinung der Gewerkschaft UGT sind die prekären Verhältnisse in manchen Sektoren und die mangelhafte Ausbildung von Fachkräften das Hauptproblem für den Mangel.

Ein weiteres Problem als direkte Folge der oft schlechten Bezahlung und des Missbrauchs von Zeitverträgen ist die geringe Mobilität. Viele Menschen weigern sich, für einen gering bezahlten Dreimonatsvertrag in eine andere Stadt zu ziehen. Hinzu kommt die Explosion der Mietpreise in vielen Gebieten, wie den Balearen, was Jobs dort unattraktiv macht. Die Koalition aus Sozialisten und Linken hat diesbezüglich schon mehrere Maßnahmen auf den Weg gebracht. Die Arbeitsministerin Yolanda Díaz erwog am Dienstag eine weitere Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns, der seit dem Amtsantritt des Ministerpräsidenten Pedro Sánchez vor vier Jahren schon um 33% auf 1000 Euro bei 14 Monatszahlungen gestiegen ist.

Die Arbeitsmarktreform, die zu Jahresbeginn in Kraft getreten ist, zeigt derweil Erfolge bei einem ihrer Hauptziele: der Reduzierung der Zeitverträge. Das Gesetzpaket wurde mit den Tarifpartnern vereinbart und in Brüssel gelobt. Seit Januar ist der Anteil von unbefristeten Verträgen sprunghaft gestiegen – auf im Juni 44% aller neu abgeschlossenen Arbeitsverträge. Viele Unternehmen waren durch die Reform gezwungen, Mitarbeitern, die seit Jahren nur mit Zeitverträgen beschäftigt wurden, eine feste Anstellung zu geben. Für die stark saisonabhängigen Wirtschaftszweige wie den Tourismus wurde der diskontinuierliche Festvertrag („contrato indefinido discontinuo“) gestärkt. Damit können Saisonkräfte den Sommer beispielsweise in einem Hotel arbeiten, den Winter inaktiv sein und im folgenden Sommer Anspruch auf denselben Arbeitsplatz haben. Der Arbeitnehmer behält somit seine Ansprüche auf Abfindung im Falle einer Kündigung, Arbeitslosengeld und Rente. Auch diese Vertragsform hat sich seit der Reform vervielfacht.

Regierung als gutes Beispiel

Die Regierung geht bei der Verbesserung der Arbeitsverhältnisse mit gutem Beispiel voran: Nach Berechnungen von UGT entfallen rund 30% der offenen Stellen auf den öffentlichen Sektor. Am Dienstag beschloss das Kabinett, 67000 Mitarbeitern im Gesundheitsbereich, die schon länger mit Zeitverträgen arbeiten, eine Festanstellung zu geben. Per Gesetz muss demnächst eine Zeitkraft in der sanitären Versorgung spätestens nach drei Jahren einen festen Vertrag bekommen. „Mit dem Gesetz sollen die Menschen, die seit Jahren in der Zeitarbeit stecken, Sicherheit und Stabilität bekommen“, sagte Gesundheitsministerin Carolina Darias auf einer Pressekonferenz.

Ein struktureller Schwachpunkt, der sich nur mittelfristig beheben lässt, ist die Berufsausbildung. Die Regierung hat 1,24 Mrd. Euro aus dem europäischen Aufbaufonds Next Generation für den Ausbau der Berufsausbildung vorgesehen. In diesem Sommer werden die Urlauber jedoch mit Engpässen an der Hotelbar leben müssen.

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