Arbeitsmarkt

Sollbruchstellen des Arbeitsmarkts

Der Arbeitsmarkt boomt, die Konjunktur schwächelt. Was auf den ersten Blick rosig aussieht, birgt auf den zweiten schon Schwachstellen, denn der Fachkräftemangel könnte die Wirtschaft noch tiefer in die Rezession treiben.

Sollbruchstellen des Arbeitsmarkts

Der Konsum von Nachrichten ist dieser Tage zumeist alles andere als erfreulich: Der russische Angriffskrieg in der Ukraine, maue Wachstumsaussichten und ein Dürresommer, der in der Geschichte seinesgleichen sucht, machen nicht gerade gute Laune. Ein Teil aber tanzt den Negativ-Reigen nicht mit: Wie ein Fels in der Brandung zeigt sich der Arbeitsmarkt „robust“. Monat für Monat verkünden die Statistiker positive Signale. Nie zuvor wurde in der Eurozone eine geringere Arbeitslosigkeit gemessen als im Juli. Und nicht nur im gemeinsamen Währungsraum insgesamt, auch in den Ländern sieht an den Jobmärkten alles rosig aus – zumindest auf den ersten Blick.

Ökonomen sprechen von einer Entkopplung: Obwohl die Konjunktur schwächelt, nimmt die Arbeitslosigkeit ab. Eine Entwicklung, die erst einmal unlogisch erscheint: Wenn Unternehmer aufgrund der Rezessionsgefahr schlechtere Geschäfte erwarten, dürften sie eigentlich mit weniger Personal auskommen. Allerdings, so scheint es, haben viele Firmen aus der Coronakrise gelernt. Betriebe horten Personal, um beim Wiederaufschwung nicht erst mühsam Fachkräfte suchen zu müssen. Denn das ist eines der Probleme am Arbeitsmarkt.

Längst werden nicht mehr nur Spezialisten händeringend gesucht, sondern selbst Hilfskräfte sind knapp. Wer einen passenden Mitarbeiter gefunden hat, tut tatsächlich gut daran, diesen zu halten. Allerdings – und das ist das zweite, wenn auch deutlich kleinere Problem unseres Felses in der Brandung – wissen viele Arbeitnehmer um ihre gute Verhandlungsposition und verlangen höhere Löhne. Einige Ökonomen befürchten, dass angesichts der stark steigenden Inflation, deren Höhepunkt wohl noch nicht erreicht ist, auch die Lohnforderungen immer stärker zunehmen. Eine sogenannte Preis-Lohn-Spirale wäre die Folge.

Wahrscheinlicher ist allerdings, dass das zu geringe Arbeitskräfteangebot den Arbeitsmarkt am Ende seinen positiven Trend kostet. Denn die Löhne steigen bislang allenfalls nominal. Aufgrund der hohen Teuerung haben die allermeisten Arbeitnehmer am Ende des Monats dennoch weniger Geld zur Verfügung. Die Gefahr einer Preis-Lohn-Spirale ist allenfalls ein Mythos, der den Arbeitgebern in Tarifverhandlungen in die Hände spielt. Sie täten im Gegenteil gut daran, ihre Fachkräfte – und insbesondere den Nachwuchs dafür in der Lehre – so fair zu bezahlen, dass so mancher in Verruf geratene Job wieder attraktiver würde. Damit sicherten sie nicht nur ihre künftige Wettbewerbsfähigkeit, sondern der Wirtschaft auch eine Stütze: einen gesunden Arbeitsmarkt inklusive Fachpersonal.

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