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Yoshihide Suga übernimmt Japans Führung

Von Martin Fritz, Tokio Börsen-Zeitung, 12.9.2020 Nach fast acht Jahren enger Teamarbeit tritt Yoshihide Suga (71) aus dem Schatten von Shinzo Abe (65) und übernimmt dessen Aufgaben - zuerst den Vorsitz der Liberaldemokratischen Partei am Montag...

Yoshihide Suga übernimmt Japans Führung

Von Martin Fritz, TokioNach fast acht Jahren enger Teamarbeit tritt Yoshihide Suga (71) aus dem Schatten von Shinzo Abe (65) und übernimmt dessen Aufgaben – zuerst den Vorsitz der Liberaldemokratischen Partei am Montag und zwei Tage später das Amt des Premierministers. Große Mehrheiten in Partei und Parlament sind ihm sicher. Aber auch wenn das langjährige Erfolgsduo sich nun trennt – Japan bleibt auf dem alten Kurs. “Suga wird als Garant für eine Fortsetzung der neoliberalen Politik von Abe gesehen”, sagt der Japanologe Sebastian Maslow von der Frauenuniversität Sendai.”Ich werde Abenomics fortsetzen und verbessern”, versprach Suga bereits. Als Chefkabinettssekretär war er seit fast acht Jahren die faktische Nummer 2 in der Regierung und hielt seinem Chef den Rücken frei, auch bei innenpolitischen Skandalen. Die Arbeitsteilung war immer klar: Abe verfolgte seine Vision vom “wunderschönen Nippon” und wurde international zum Gesicht eines wiedererstarkten Japans, der Pragmatiker Suga kümmerte sich um die Wirtschaft und leitete die Verwaltung. Auf sein Konto gehen die Einführung spezieller Visa für ausländische Arbeitskräfte, die Öffnung des Inselstaats für mehr Touristen aus Asien, die Zulassung von “integrierten Resorts” mit Spielkasinos und die höhere Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Agrarwirtschaft durch Handelsverträge. Auch ein dauerhaft schwacher Yen zählt zu seinen Anliegen.Aber Suga zeigte bereits den Ehrgeiz, stärker als bisher die großen Strukturprobleme anzupacken. So will er die Regionalbanken konsolidieren, die Bürokratie digitalisieren, mehr Online-Dienste einführen, die Mobilfunktarife senken und Fusionen von Kleinunternehmen fördern. Für diese Vorhaben will er sich offenbar ein eigenes Mandat holen. Er werde keine Übergangsregierung führen, sagte er. Das heißt: Trotz Corona-Pandemie könnte er vorzeitige Neuwahlen ansetzen. Jedoch dürften sich die Wähler mit dem Personaltausch schwertun.Mit seinem selbstbewussten Auftreten auf der Weltbühne verdiente sich Abe den Respekt vieler Japaner, auch wenn sie seine revisionistischen Töne nicht mochten. Den eher farblos und mürrisch wirkenden Suga können sich viele nicht bei einem G7-Treffen vorstellen. Der Kabinettssekretär fiel den Bürgern erst richtig auf, als er im Vorjahr mit seinem typisch ernsten Gesicht den Namen “Reiwa” (schöne Harmonie) für die Amtszeit des neuen Kaisers Naruhito enthüllte. Seitdem heißt er “Onkel Reiwa”. “Als Realist wird Suga sein politisches Kapital eher für die Innenpolitik verwenden”, meint der Japan-Experte Maslow. Zwar gehört er wie viele LDPler dem rechtsnationalen Verband Nippon Kaigi an, der ein starkes Japan predigt. Aber Suga verfolgt lieber Vorhaben, die den Bürgern direkt nützen.Der Stilunterschied zu Abe erklärt sich aus seiner Biografie. “Ich habe bei null angefangen, ohne familiäre und andere Beziehungen”, betont er. Während Abe als Junge auf dem Schoß des Großvaters im Premierministeramt gesessen hat, zählt Suga zu den seltenen Selfmademen in der LDP. Mit eisernem Willen hat er sich nach oben gearbeitet. Der Spross eines Erdbeerbauern in der schneereichen Nordprovinz Akita brauchte schon für die Bus- und Bahnfahrt zur Oberschule zwei Stunden. Als ältester Sohn hätte er den elterlichen Obstanbau übernehmen können. Stattdessen verdiente er sich das Geld für sein Jurastudium mit Jobs in einer Kartonfabrik und auf dem Fischmarkt in Tokio.Der Vater von drei Söhnen arbeitete für einen Abgeordneten, bevor er in das Stadtparlament von Yokohama einzog. Seit 1996 sitzt er im Nationalparlament, auch weil er im damaligen Wahlkampf zu den ersten gehörte, die sich mit Megafon und Handzetteln früh am Morgen vor Pendlerbahnhöfe stellten, um bekannter zu werden. In der ersten Abe-Amtszeit (2006-2007) war Suga Minister für Internes und Kommunikation. Danach blieb er Abe treu und verhalf ihm 2012 zurück an die Parteispitze. Als dessen rechte Hand ließ er so viele Machtfäden wie nie zuvor im Kabinettsbüro zusammenlaufen. Seine Erfahrung bei der Steuerung der Bürokratie dürfte ihm dabei helfen, seine Reformvorhaben durchzusetzen. Suga trinkt und raucht nicht, aber nascht gerne Süßigkeiten.