Stark unterschiedliche Visionen

Trump setzt auf Alleingänge und Steuersenkungen, Biden auf Multilateralismus und Schuldenabbau

Stark unterschiedliche Visionen

Für den Ausgang der US-Präsidentschaftswahl wird entscheidend sein, wem Wähler zutrauen, die Corona-Pandemie zu überwinden und die Wirtschaft anzukurbeln. Während Präsident Donald Trump am Status quo festhalten will, plant der Demokrat Joe Biden eine Kehrtwende in der Steuer- und Handelspolitik.Von Peter De Thier, WashingtonMit der Nominierung des amtierenden US-Präsidenten Donald Trump zu ihrem Spitzenkandidaten haben die Republikaner ihren Parteikonvent feierlich eröffnet und somit die Schlussphase eines Wahlkampfs eingeläutet, der sich zu dem bittersten in der US-Geschichte entwickeln dürfte. Im Mittelpunkt wird dabei die Bekämpfung der Coronakrise stehen, die untrennbar mit der weiteren konjunkturellen Entwicklung und den wirtschaftspolitischen Programmen der beiden Kandidaten einhergeht.Trump besteht auf der Fortsetzung seines nationalistischen Ansatzes und hat den früheren Schlachtruf “Make America Great Again” lediglich in “Keep America Great” umbenannt. Biden hingegen plädiert für internationale Kooperation, vor allem im Handel, will mit einer ausgewogeneren Steuerpolitik die Mittelklasse entlasten und Umweltschutz zu einem zentralen Bestandteil seiner Konjunkturpolitik machen. Auf Alleingänge, welche die USA international isoliert und Arbeitsplätze zerstört haben, sollen Zusammenarbeit und die Bekämpfung des Klimawandels folgen, den der Präsident und viele Republikaner weiter für eine Fiktion halten.Gemessen an den reinen Zahlen kann sich die Bilanz Trumps bis zum Ausbruch der Pandemie durchaus sehen lassen. Die Ende 2017 verabschiedete Steuerreform hatte dem Arbeitsmarkt frischen Schwung verliehen und Investitionen beflügelt. Die weltgrößte Volkswirtschaft boomte nicht, zeichnete sich aber konstant durch solide Wachstumsraten aus. Gepaart waren die Steuersenkungen aber mit einer konfrontativen Handelspolitik, welche sowohl die EU als auch China im Visier hatte. Multinationale Abkommen wollte Trump entweder nachverhandeln oder er kehrte diesen den Rücken. Zölle mit hohem Preis Zwar haben diverse Importzölle zu einem kurzfristigen Rückgang des US-Handelsdefizits geführt – allerdings um einen hohen Preis. Viele US-Unternehmen, beispielsweise in der Stahl- und Autoindustrie oder Landwirtschaft, haben als Folge einschlägiger Vergeltungszölle und Störungen der globalen Lieferketten unermesslichen Schaden erlitten und Arbeitsplätze abgebaut.Hinweise dafür, dass Trump im Falle eines Wahlsieges leiser treten und vor allem gegenüber den wichtigsten Handelspartnern versöhnlicher auftreten würde, gibt es jedenfalls keine. Im Gegenteil: Der Präsident kokettiert sogar mit neuen Zöllen. Biden dagegen unterstützt das nachverhandelte Nafta-Abkommen USMCA. Im Gegensatz zum Präsidenten dürfte er aber versuchen, mit der EU ein Handelsabkommen zu schmieden. Auch würde er wohl über internationale Kooperation anstelle von Zöllen versuchen, China unter Druck zu setzen.Außerordentlich kontrastreich sind auch Ausgaben- und Steuerpolitik der beiden Kandidaten. Zwar wollen beide mehr als 1 Bill. Dollar in die Infrastruktur investieren. Zentraler Bestandteil von Bidens Ausgabenprogramm sollen aber erneuerbare Energien sein, von denen er sich 5 Millionen neue Arbeitsplätze verspricht. Trump, der den Klimawandel leugnet, will sich hingegen auf Straßen, Brücken und – ebenfalls aus wahltaktischen Gründen – auf einen erweiterten Breitbandzugang in ländlichen Gegenden konzentrieren. Steigende Staatsschulden Differenzierter ist auch der steuerpolitische Ansatz des Demokraten. Trump verlangt eine Senkung der Lohnsteuer und geht davon aus, dass sämtliche Steuersenkungen, die 2025 auslaufen sollen, weiter Bestand haben. Während des Wahlkampfs liegt dabei der Fokus auf der Entlastung der Mittelklasse, auf deren Stimmen er angewiesen ist. Dabei spielen Republikaner die Tatsache, dass die Schuldenquote bald 130 % erreicht haben wird, entweder herunter oder ignorieren die ausufernden Staatsfinanzen komplett.Der frühere Vizepräsident Biden setzt sich hingegen für eine Heraufsetzung des Spitzensteuersatzes von 37 auf 39,6 % und des Unternehmenssteuersatzes von 21 auf 28 % ein. Wie das Forschungsinstitut Tax Policy Institute vorrechnet, würden die wohlhabendsten 20 % der US-Haushalte etwa 93 % der höheren Abgaben bestreiten. Zudem würden die höheren Sätze in den kommenden zehn Jahren zusätzliche 4 Bill. Dollar in die Staatskasse spülen und somit einen bedeutenden Beitrag zum Defizitabbau leisten.