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Öko-Kapitalismus statt Öko-Diktatur

Warum Klimaaktivisten gegen Markt und Wettbewerb wettern und die Demokratie infrage stellen

Öko-Kapitalismus statt Öko-Diktatur

Von Stephan Lorz, FrankfurtAuf vielen Transparenten bei den Demonstrationen gegen die Klimakrise ist der Schuldige für die Erderwärmung längst ausgemacht: “Capitalism kills the Planet. Kill Capitalism!” Auch der Bundesvorsitzende der Grünen, Robert Habeck, diagnostiziert “einen Krieg der Ökonomie gegen die Natur”. Luisa Neubauer, das deutsche Gesicht der Umweltbewegung “Fridays for Future”, sagt: “Menschen, die sich mit der Klimafrage beschäftigen, stellen irgendwann die kapitalistische Wirtschaftsweise infrage.” Und für Rosa Kreh von der Aktivistengruppe “Ende Gelände” ist klar: “Klimaschutz verträgt sich nun mal nicht mit Kapitalismus.” Man spricht in diesen Kreisen zudem gern vom “fossilen” Kapitalismus, um ihm das Etikett des Abzuschaffenden anzukleben.Gleichzeitig stellen die Umweltaktivisten auch die Demokratie infrage. “Wählen ist nicht genug”, meint etwa Carola Rackete, Kapitänin der Sea-Watch 3, die im Mittelmeer Flüchtlinge geborgen und gegen staatlichen Widerstand in Italien angelandet hatte. Die Parlamente seien “untauglich” für die Lösung der ökologischen Herausforderung, zumal der “Ökozid”, wie sie die Klimakrise nennt, extreme Entscheidungen nötig mache. Parlamenten traut sie schon deshalb nicht über den Weg, weil es nach ihren Worten den meisten gewählten Politikern ohnehin nur um das eigene Wohl oder die Interessen von Lobbyisten gehe. Elitäre Arroganz und Öko-Diktatur geben sich in der Klimadebatte also ein Stelldichein.Woher kommt dieser Hass auf den Kapitalismus? Immerhin geht es der Umwelt in Deutschland besser als vor 30 Jahren: Die Stickoxide wurden um 94,3 % reduziert, das Kohlenmonoxid um 77,5 % und das Kohlendioxid um 30,8 %. Es gibt weniger Stickstoff in den Gewässern, weniger Schwermetalle und kaum mehr Eintrag von Chrom, Blei und Quecksilber.Der schwedische Ozeanograf Nils-Axel Mörner sieht in den Umweltaktivisten “eine quasireligiöse Bewegung”, weil sie ihre Forderungen als “einzige Wahrheit” hinstellen. Sogar das Europäische Parlament scheint davon infiziert und hat unlängst selbst den “Klimanotstand” ausgerufen. Das dürfte so manchen Aktivisten in die Hände spielen. Denn ein “Ausnahmezustand” wurde schon oft für Widerstand und Gesetzesbruch herbeigeredet.Reinhard Loske, Präsident der Cusanus Hochschule in Bernkastel-Kues, früher Grünen-Abgeordneter und Bremer Umweltsenator, warnt die Umweltbewegung vor einer Verklärung sozialistischer Strukturen. Marxismus wie Kapitalismus neigten beide dazu, die Rolle der Natur bei der Wertschöpfung zu reduzieren. Ferner zeigt die Historie: Der Sozialismus ist mit der Umwelt noch ausbeuterischer umgegangen als der Kapitalismus.Letztendlich haben sich die Verfechter des Kapitalismus das ihnen entgegengebrachte Misstrauen aber wohl selber zuzuschreiben, weil sie manche Fehlentwicklung wie exorbitante Managergehälter “ökonomisch” rechtfertigten, weil viele den “Markt” als allein selig machendes Instrument und Sozialpolitik und Staat nur als Störfaktor betrachteten, und weil es ihnen nach der Finanzkrise an der nötigen Selbstkritik mangelte. Und nun hätten sie auch noch versäumt, adäquat auf die Umweltkrise zu reagieren, kritisiert der britische Ökonom Adair Turner, von 2008 bis 2012 Chef der UK Financial Services Authority. Negative Externalitäten, die Übernutzung öffentlicher Güter wie Wasser, Luft und Boden, mahnt Ex-Weltbank-Ökonom Vinod Thomas, seien viel zu zögerlich in die Preismodelle eingepreist worden. Obendrein habe man auch die negativen klimapolitischen Konsequenzen von Deregulierung, Flexibilisierung und Globalisierung zu wenig thematisiert. Die Freiheit der Märkte sei über alles andere gestellt worden. Modelle anpassenNun geht es darum, die ökonomischen Modelle an die neuen Herausforderungen anzupassen. Alle Bestrebungen laufen darauf hinaus, die Kopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch aufzuheben, eine Art “Öko-Kapitalismus” zu formen. Und es sprechen durchaus gute Gründe dafür, dass nur das Instrumentarium des Marktes auch tatsächlich in der Lage ist, den Zielkonflikt zwischen Ökonomie und Ökologie aufzuheben: Das Eigentum an Produktionsmitteln sorgt grundsätzlich für einen sparsameren Umgang mit ihnen und könnte einen mächtigen ökologisch orientierten Preismechanismus in Gang setzen. Der dem System innewohnende Wettbewerb wiederum verstärkt die Innovationskraft und erhöht den Effizienzdruck. Dagegen gibt es im Sozialismus kein Eigeninteresse am Naturerhalt, nur Vorgaben des Staates.Statt den Kapitalismus zu bekämpfen, sollte man ihn als “Teil der Lösung” sehen, fordert MIT-Ökonom Daron Acemoglu. Auch Turner ruft die Klimaschützer auf, an der Reform des Kapitalismus mitzuarbeiten, statt sozialistischen oder autoritären Modellen nachzuhängen. Denn seien klare Preise und Regeln vorhanden, würden der Marktwettbewerb und das Gewinnmotiv die Innovation antreiben, und Skalen- sowie Lernkurveneffekte würden die Kosten für kohlenstofffreie Technologien nach unten drücken. Turner: “Ohne diese Kraft freizusetzen werden wir fast mit Sicherheit dabei scheitern, den Klimawandel zu begrenzen.” CO2-Preis gesetztErste Schritte zur Bepreisung von Kohlendioxidemissionen sind in Deutschland bereits eingeleitet, um dem Markt Gelegenheit zur ökologischen Machtentfaltung zu geben. Wissenschaftler halten den in Berlin nun verabredeten Startpreis von 25 Euro pro Tonne CO2 ab 2021 zwar für “homöopathische Symbolpolitik” (das Umweltbundesamt votiert für 180 Euro), doch ist das zumindest der Einstieg in die Dekarbonisierung. Auch die Wirtschaft nimmt Kurs auf CO2-Neutralität und ESG-Kriterien (“Environment Social Governance”). Zugleich bietet die Finanzwirtschaft immer mehr Instrumente zur ESG-Finanzierung an.Das ist die Chance für den Marktkapitalismus. Denn der Klimabewegung fehlt es an einer schlüssigen, umfassenden politischen Agenda, welche die Folgen für Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft allesamt im Auge behält. Es gilt bisher nur das Wort der Umweltaktivistin Greta Thunberg: “Ich will, dass ihr in Panik geratet.”Auch der gegenüber dem Kapitalismus durchaus kritisch eingestellte Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz wirbt für die Beibehaltung des etablierten Wirtschaftsmodells, weil das Wachstum abgesichert werden müsse. Bei einem Systemwechsel würden “Millionen Menschen in Armut gestürzt”. Die Wende hin zu einem mehr qualitativen Wachstum könne man indes nicht allein dem Markt überlassen. Eine Kombination sei nötig aus öffentlichen Investitionen, wirksamer Regulierung und ökologisch angemessenen Preisen.Doch stehen die tonangebenden Umweltaktivisten einem solchen “Green New Deal” (GND) weiterhin skeptisch gegenüber, weil sie die Verarmung einer “proletarischen ökologischen Masse” befürchten – pikanterweise wegen höherer Energie- und Warenpreise, die sie selber fordern. Das zeigt die politische Eindimensionalität der Bewegung, was es für linke Aktivisten leicht macht, sie für ihre Ziele zu okkupieren. Denn jene sehen etwa im Aufstand der “Gelbwesten” in Frankreich die beste Voraussetzung für einen sozialistischen Umsturz. Dass eine Öko-Diktatur allerdings vor den gleichen Problemen stehen würde, die ökologischen Lasten irgendwie “gerecht” zu verteilen wie der Öko-Kapitalismus und die Demokratie, wird angesichts sozialistischer Verheißungen gerne ausgeblendet.Doch die Zukunft des Kapitalismus könnte auch noch ganz anders aussehen: Der US-Ökonom Jeremy Rifkin hält die althergebrachten Instrumente des Marktes durch neue Technologien schon für angezählt: die Sharing- und Prosuming-Wirtschaft, “Collaborative Consumption”, eine Art Wiederentdeckung der deutschen Genossenschaftsidee, würden künftig die wettbewerbsorientierten Grundmuster im Kapitalismus ohnehin peu à peu durch kooperative Formen ersetzen. Eine Form der Anpassung des Kapitalismus – oder seine Kapitulation?