BREXIT

Liebesgrüße aus Paris

Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um hinter der Schließung der französischen Grenze für Lkw aus Großbritannien ein anderes Motiv zu erkennen als die Eindämmung einer Variante des Coronavirus. Durch die Aktion wird den Briten wenige Tage...

Liebesgrüße aus Paris

Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um hinter der Schließung der französischen Grenze für Lkw aus Großbritannien ein anderes Motiv zu erkennen als die Eindämmung einer Variante des Coronavirus. Durch die Aktion wird den Briten wenige Tage vor dem Ende der Brexit-Übergangsphase dramatisch vor Augen geführt, wie sehr sie auf den reibungslosen Handel mit dem Kontinent angewiesen sind. Der französische Präsident Emmanuel Macron ist bekanntlich der Meinung, dass die Verhandlungen über die künftigen Beziehungen nicht mit dem Neujahrsläuten beendet sind. Sein Kalkül: Nach ein paar Wochen Stillstand in Dover werden die widerborstigen Briten schon angekrochen kommen.Wegen des Aufbaus von Lagerbeständen vor dem endgültigen Vollzug des EU-Austritts und des alljährlichen Weihnachtsgeschäfts herrscht an den britischen Grenzübergängen, an denen Tausende Lkw zusätzlich abgefertigt werden müssen, ohnehin Chaos. Und dann erzählt der britische Gesundheitsminister Matt Hancock in einer Talkshow, eine neue und hochansteckende Variante des Virus sei “außer Kontrolle” geraten. Macron wäre nicht Präsident, wenn er so eine Steilvorlage nicht annehmen würde. Da spielt es keine Rolle, dass sich die Begründung dafür, keine Lkw ins Land zu lassen, ein bisschen so anhört wie die chinesische Erzählung, das Virus sei durch importierte Tiefkühlkost ins Land gekommen.Der Umgang mit der Pandemie folgt längst nicht mehr nur wissenschaftlichen Kriterien, sondern ist Teil der politischen Auseinandersetzung zwischen der EU und Großbritannien geworden. Ironischerweise sind es vor allem osteuropäische Fahrer, die unter dem Liebesgruß aus Paris zu leiden haben. Viele von ihnen werden Weihnachten wohl irgendwo auf englischen Landstraßen verbringen müssen.Doch ist es eine schwerwiegende Fehleinschätzung, anzunehmen, dass es nach einem unregulierten Herausfallen des Landes aus der Staatengemeinschaft ein Zurück an den Verhandlungstisch geben könnte. Für den britischen Premierminister Boris Johnson wäre es politischer Selbstmord, ein paar Wochen nach dem großen Knall ein für das Land nachteiliges Abkommen zu unterschreiben. Besser wäre es, ernsthaft zu verhandeln, solange dafür noch Zeit ist. Immerhin, Paris wollte zuletzt über eine Grenzöffnung für Lkw nachdenken. Vielleicht hatte sich ja Dublin Gehör verschafft. Der Großteil der irischen Beschaffungsketten verläuft schließlich durch England.