SERIE ZUR US-WAHL 2020

Kampf um eine gespaltene Nation

Der Ausgang des furiosen Duells zwischen Biden und Trump wird Amerikas Zukunft prägen

Kampf um eine gespaltene Nation

Sechs Wochen vor den Präsidentschafts- und Kongresswahlen sind die USA als Nation so tief gespalten wie zu keinem Zeitpunkt seit dem Bürgerkrieg vor 155 Jahren. Begleitet werden soziale Unruhen von einer schwächelnden Wirtschaft und einer Gesundheitskrise, deren Ende nicht in Sicht ist. Eigentlich spricht wenig für die Wiederwahl von Präsident Donald Trump. Die Börsen-Zeitung begleitet die Präsidentenwahl mit einer Artikel-Serie.Von Peter De Thier, WashingtonPolitische Gegner nennen ihn den “großen Zerstörer”. In weniger als vier Jahren im Amt hat Donald Trump die Kluft zwischen Weißen und Afroamerikanern, zwischen Wohlhabenden und Ärmeren sowie Republikanern und Demokraten so weit vertieft, dass politische Beobachter am Tag der Wahl gewaltsame Unruhen befürchten.Zugleich hat er das Land auf dem globalen Parkett politisch isoliert und eklatante Führungsschwäche im Kampf gegen die Corona-Pandemie bewiesen. Gepaart mit einer Rezession, die nicht annähernd überwunden ist, spricht eigentlich nichts für eine Wiederwahl des 45. Präsidenten. Sicher ist dennoch, dass – ungeachtet der Umfragewerte, wonach seinem Gegner Joe Biden der Sieg schwer zu nehmen sein müsste – der Ausgang völlig offen bleibt. Erfolge in der Steuer- und HandelspolitikNicht abzusprechen sind Trump seine unbestreitbaren Verdienste. Lange Zeit galt in den USA der höchste Unternehmenssteuersatz aller OECD-Länder, ein deutlicher Wettbewerbsnachteil für amerikanische Firmen, die Produktion, Arbeitsplätze und Firmenzentrale ins Ausland verlegten und Steuern am US-Finanzamt vorbeischleusten. Trumps Steuerreform schraubte diesen von 35 auf 21 % herunter und verbesserte damit die Konkurrenzfähigkeit der heimischen Wirtschaft.Auch sind sich Ökonomen weitgehend darüber einig, dass das United States-Mexico-Canada Agreement USMCA, das Nachfolgeabkommen zur nordamerikanischen Freihandelszone Nafta, einen bedeutenden Fortschritt darstellt. Der neue Vertrag trägt nicht nur den Erfordernissen einer zunehmend digitalisierten Weltwirtschaft Rechnung, sondern stellt auch höhere Löhne sicher und berücksichtigt die Interessen wichtiger Branchen in allen drei Teilnehmerländern.Überschattet werden Trumps Verdienste aber von der bewussten und gezielten Unterminierung rechtsstaatlicher Prinzipien sowie dem gezielten Versuch, durch die Polarisierung der Gesellschaft seine politische Basis zu zementieren. Den inoffiziellen Leitspruch der USA, “E pluribus unum”, auf Deutsch übersetzt in etwa “Aus vielen eines”, der jede amerikanische Münze schmückt, hat Trump damit ad absurdum geführt. Den Rechtsstaat hat der Präsident unterlaufen, indem er Kongressbeschlüsse, die ihm nicht ins Konzept passen, schlicht ignoriert. Beispielhaft war seine Weigerung, Sanktionen gegen Russland zu unterstützen, die wegen des Versuchs des Kremls, 2016 den Ausgang der US-Wahl zu manipulieren, gefordert wurden. Laut Trump sei “der Beschluss allein Strafe genug gewesen”. Dass es in einem Rechtsstaat dem Chef der Exekutive obliegt, Entscheidungen der Legislative durchzuführen, scherte ihn nicht im Geringsten.Im Verlauf der letzten Jahre häuften sich die Beispiele, insbesondere etwa die Ernennung von Richtern, deren größte Verdienste ihre politische Agenda war. Zwei berief Trump an den Obersten Gerichtshof und mehrere hundert an Bundesgerichte, die zweithöchsten Instanzen in den USA. Nach dem Tod von Ruth Bader Ginsburg hat der Präsident nun die Chance, einen dritten “Supreme Court Justice” auf Lebenszeit zu berufen und damit sicherzustellen, dass politisch sowie gesellschaftlich höchst relevante Grundsatzentscheidungen über viele Jahre die Handschrift der Erzkonservativen tragen werden. Anfang vom Ende der US-Demokratie?Begleitet wird die Untergrabung der staatlichen Gewaltenteilung vom Degenerieren der weltgrößten Demokratie in eine Staatsform, die zunehmend autokratische Züge aufweist. Das Personalkarussell um Trump hat mittlerweile dazu geführt, dass er nur noch von Handlangern umgeben ist, die dem Präsidenten nach dem Mund reden und jeden Rechtsverstoß sowie jeden Verfassungsbruch schönfärben.Keiner verkörpert den Trend so sehr wie sein Justizminister William Barr. Barr wurde rechtzeitig im Amt bestätigt, um den Bericht des Sonderermittlers Robert Mueller unter den Teppich zu kehren. Mittlerweile liegt Barr mit seinem eigenen Bundeskriminalamt FBI im Clinch und hat faktisch erklärt, dass der Präsident über dem Gesetz steht.International hat Trump das Land vom ersten Tag an isoliert. Den Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen verkündete er ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt. Auch kündigte Trump das Nuklearabkommen mit dem Iran auf, verließ den UN-Menschenrechtsrat ebenso wie die Kultur- und Bildungsorganisation Unesco. Um sein Kokettieren mit einem möglichen Nato-Austritt ist es mittlerweile wieder ruhiger geworden, doch Angela Merkel und Emmanuel Macron wissen sehr wohl, dass sie in Washington mittlerweile keinen verlässlichen Bündnispartner mehr haben.Mit Ausnahme der Steuerreform und nachgebesserter Handelsabkommen hat der 45. Präsident an der heimischen Front bemerkenswerte Führungsschwäche bewiesen. Obwohl er schon im Februar in einem Interview offen erklärte, wie gefährlich das Coronavirus ist, hat er die Pandemie aus purem politischem Kalkül konsequent schönzureden versucht. Da sich in seiner Wahrnehmung konjunkturelle Stärke allein in Arbeitsmarktdaten und steigenden Aktienkursen niederschlägt, drang er unermüdlich auf eine vorzeitige Öffnung der Wirtschaft und gefährdete damit Millionen von Menschenleben.Erfolge hat das aber nur auf kurze Frist gezeigt. Die Anträge auf Arbeitslosengeld verharren auf historisch hohem Niveau, die Industrie leidet weiter, und nach einer verhaltenen Erholung im Sommer droht die weltgrößte Volkswirtschaft weiter in eine tiefe Rezession abzugleiten. Über die drohende Schuldenkrise verliert jener Präsident, der vor vier Jahren versprach, die ausufernden Defizite “binnen kurzer Zeit zu eliminieren”, kein Wort. Integrationsfigur Biden liegt in FührungIn fast allen Umfragen, vor allem in den entscheidenden Staaten mit einem hohen Anteil an Wechselwählern, erfreut sich Trumps demokratischer Gegner Joe Biden relativ bequemer Vorsprünge. Biden hat versprochen, dem Pariser Abkommen wieder beizutreten, und will die angeschlagenen Beziehungen mit den wichtigsten Bündnispartnern wieder reparieren. Zudem will er mit Steuererhöhungen für die Reichen und Senkungen für die untere Mittelklasse sowie Ärmere nicht nur das Wohlstandsgefälle abbauen, sondern auch den Schuldenberg langsam abtragen. Ob der frühere Vizepräsident, der sich im Gegensatz zu dem Provokateur und Spalter Trump als Versöhner, als Integrationsfigur versteht, das umsetzen kann, hängt vom 3. November ab. Werden sämtliche Stimmen gezählt, dann könnte der 46. Präsident durchaus Joe Biden heißen. Gelingt es Trump aber, durch drastische Sparmaßnahmen bei der US-Post die Zustellung und Auszählung der Briefwahlstimmen zu verhindern, dann bleibt alles offen.Wichtig wird auch der Ausgang der Kongresswahlen sein. Dass die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus behalten, gilt als sicher. Können sie den Republikanern aber auch drei oder im Falle einer Biden-Niederlage vier Sitze im Senat entringen, dann wäre ein Minimum an Rechtsstaatlichkeit wieder sichergestellt. Weder könnte Trump nämlich Richterämter noch Kabinettspositionen oder andere hohe politische Posten ohne die Zustimmung der Demokraten besetzen.