EUROPA ZWISCHEN LOCKDOWN UND IMPFSTART

Italiens Regierung kämpft ums Überleben

In der Krise muss Conte Kompromisse machen

Italiens Regierung kämpft ums Überleben

Von Gerhard Bläske, MailandMit bisher mehr als 75 000 Toten ist Italien das am stärksten von der Corona-Pandemie betroffene Land Europas. Doch statt sich auf die Lösung der Probleme zu konzentrieren, streiten die Regierungsparteien seit Wochen bis aufs Messer miteinander. Es droht das Auseinanderbrechen der Regierung.Ex-Premier Matteo Renzi, Chef der Kleinstpartei Italia Viva, hat den Koalitionspartnern aus dem sozialdemokratischen PD, der 5-Sterne-Bewegung und der Mini-Linkspartei LeU ein Ultimatum gestellt. Er wirft Regierungschef Giuseppe Conte Selbstherrlichkeit vor und forderte ihn auf, endlich eine klare Krisenstrategie vorzulegen. Sollte Conte nicht bis zum 7. Januar einlenken, so werde Italia Viva die Regierung verlassen. Die Partei kommt in Umfragen zwar nicht einmal auf 3 % der Stimmen, ist aber mit 30 Parlamentariern im Abgeordnetenhaus und 18 Senatoren Zünglein an der Waage. Ohne sie hat die Regierung keine Mehrheit.Seit Wochen wird über eine Regierungsumbildung, Neuwahlen oder eine Technokratenregierung unter Ex-EZB-Chef Mario Draghi spekuliert. Nun gibt es zaghafte Entspannungszeichen. Denn an Neuwahlen, die wohl die rechte Opposition an die Macht brächten, kann niemand in der Regierung Interesse haben. Conte zeigt sich bereit zu einer Regierungsumbildung und zu Kompromissen bei der Verwendung der 209 Mrd. Euro, die Italien aus dem europäischen Wiederaufbauprogramm (Recovery-Plan) erhalten soll. Womöglich stimmt er sogar zu, wenigstens einen Teil der 36 Mrd. Euro anzunehmen, die Rom aus Mitteln des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zur Sanierung des Gesundheitswesens bekommen würde. Das lehnten bisher sowohl Conte als auch die 5 Sterne aus ideologischen Gründen ab.Zwar hat Renzi mit seiner Kritik an Conte recht. Denn Conte hatte seinen Plan für die Verteilung der EU-Mittel dem Kabinett nicht nur in einer Hauruck-Aktion vorgelegt. Der Plan war auch ein Sammelsurium von Maßnahmen ohne jegliche Priorisierung – über die Verwendung sollte eine technische Taskforce unter Contes Führung entscheiden. Erst auf Renzis Intervention hin soll der Schwerpunkt nun auf Investitionen statt Subventionen liegen. Doch Renzi hat es sich durch seine Unberechenbarkeit mit allen verscherzt. Conte indes kann auch mit seiner Impfstrategie nicht überzeugen. Und in dem Maßnahmendschungel gegen die Pandemie mit regional unterschiedlichen und beinahe täglichen Verschärfungen und dann wieder Lockerungen blickt niemand mehr durch.Auch der Wirtschaftspolitik fehlt jede Linie. Erst an Silvester wurde dem Parlament der Budgetentwurf vorgelegt. Die Schulden sind auf über 160 % des Bruttoinlandsprodukts gestiegen, die Wirtschaft schrumpft im zweistelligen Prozentbereich und die Regierung verstaatlicht immer mehr Unternehmen.Contes Bemühungen, Teile der Opposition auf seine Seite zu ziehen, sind gescheitert. Selbst wenn er sich halten könnte, was wahrscheinlich ist, wären er selbst und seine Regierung deutlich geschwächt.