Finanziell zufrieden und trotzdem voll aggro

Von Stefan Paravicini, Berlin Börsen-Zeitung, 13.9.2019 Bereits zum siebten Mal seit 2013 hat das Institut für Demoskopie Allensbach in diesem Sommer die Stimmung in der Gruppe der 30- bis 59-Jährigen abgefragt. Insgesamt 1 103 Männern und Frauen...

Finanziell zufrieden und trotzdem voll aggro

Von Stefan Paravicini, BerlinBereits zum siebten Mal seit 2013 hat das Institut für Demoskopie Allensbach in diesem Sommer die Stimmung in der Gruppe der 30- bis 59-Jährigen abgefragt. Insgesamt 1 103 Männern und Frauen aus der “Generation Mitte” haben die Meinungsforscher im Auftrag des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) um ihre Einschätzung zu Themen vom gesellschaftlichen Zusammenhalt bis zur Altersvorsorge befragt. Herausgekommen ist nach Einschätzung von Professor Renate Köcher, der Geschäftsführerin des Instituts, ein Stimmungsbild, das eine “merkwürdige Diskrepanz” aufweist.Auf der einen Seite herrscht in der Mitte der Alterspyramide mehrheitlich große Zufriedenheit mit der eigenen finanziellen Situation und der wirtschaftlichen Entwicklung. Fast drei Fünftel der Befragten ziehen eine positive Bilanz zu ihrer materiellen Situation und nicht einmal jeder Zehnte bewertet sie als eindeutig negativ. Wenn die Teilnehmer der Umfrage ihre wirtschaftliche Lage mit ihrer Situation vor fünf Jahren vergleichen, sehen 44 % eine Verbesserung und nur 16 % eine Verschlechterung. Das sind die besten Werte, seit der GDV die Erhebung zur “Generation Mitte” zum ersten Mal in Auftrag gegeben hat. Für die Befragten in Ostdeutschland fällt die Bilanz noch besser aus (siehe Grafik). Verunsicherung über ZukunftMit Blick in die Zukunft herrscht allerdings Verunsicherung. Nur ein Viertel der Befragten ist überzeugt, dass die deutsche Wirtschaft ihre starke Position in den nächsten Jahren verteidigen kann. Zu den größten Risiken zählen nach Einschätzung von zwei Dritteln der 30- bis 59-Jährigen der Fachkräftemangel und die Politik des amerikanischen Präsidenten. Auf Platz 3 in der Risikowahrnehmung stößt man zumindest indirekt erneut auf Donald Trump, liegen hier doch die Sorgen vor Einschränkungen im Freihandel gleichauf mit der Angst, dass Deutschland bei wichtigen Technologien den Anschluss verpassen könnte. Der Klimawandel, der in den vergangenen Tagen die Haushaltsdebatte im Bundestag bestimmt hat, wird von knapp der Hälfte der Befragten als ein Risiko für die deutsche Wirtschaft gesehen, während knapp dahinter 47 % eine Schwächung der deutschen Automobilindustrie als Gefahr sehen. Daneben stehen auch die Mängel im Bildungssystem, der demografische Wandel, der Aufstieg Chinas und die hohen Energiekosten in den Top 10 der Risiken.Die Verunsicherung ist begründet, mehren sich doch auch in Deutschland die Anzeichen für eine konjunkturelle Abkühlung. Erstaunt sind die Demoskopen vor allem über die negative Bewertung der gesellschaftlichen Entwicklung. Für mehr als die Hälfte der Befragten überwiegen in den vergangenen Jahren die negativen Veränderungen, während nur 16 % vornehmlich positive Entwicklungen in der Gesellschaft beobachtet haben. Zwei Drittel empfinden Deutschland als eine “Ellenbogengesellschaft”, wobei diese Aussage im Osten der Republik sogar bei drei Vierteln auf Zustimmung stößt. Vier Fünftel geben an, dass die Aggressivität in der Gesellschaft zunimmt und neun von zehn Befragten verweisen dabei auf eigene Erfahrungen im Straßenverkehr. Dabei müssten sie hier eigentlich immer öfter Menschen begegnen, die mit ihrer materiellen Situation rundum zufrieden sind.——Die 30- bis 59-Jährigen bewerten ihre Situation positiv, sehen die Gesellschaft aber kritisch.——