EU-Gipfel sorgt für Enttäuschung

Vorschlag für Wiederaufbaufonds bis Mitte Mai - Merkel: Gemeinsame Antwort ist im deutschen Interesse

EU-Gipfel sorgt für Enttäuschung

Die Ergebnisse des EU-Videogipfels haben viele enttäuschte Reaktionen hervorgerufen. Das Volumen des großen Post-Corona-Programms bleibt unklar. Die EU-Kommission will nun bis Mitte Mai Vorschläge für einen Wiederaufbaufonds und einen deutlich ausgeweiteten EU-Haushaltsrahmen ab 2021 vorlegen.ahe/ms Brüssel/Frankfurt – Die ausgebliebene Einigung auf eine billionenschwere EU-Wiederaufbauhilfe nach Ende der Coronakrise ist in Politik und Wirtschaft auf Kritik gestoßen. “Zukunft wird mit Mut gemacht – leider fehlt dieser den EU-Staats- und Regierungschefs in dieser wichtigen Stunde”, monierte der SPD-Europaabgeordnete Udo Bullmann. Sein Grünen-Kollege Philippe Lamberts beklagte, Probleme sei nur aufgeschoben worden. Eine Mehrheit der Staats- und Regierungschefs werde ihrer Verantwortung nicht gerecht. “Das ist Gift für die Idee des europäischen Projekts.”Der EU-Gipfel hatte auf seiner Videokonferenz beschlossen, nun zunächst die EU-Kommission zu beauftragen, einen geplanten Recovery-Fonds auszuarbeiten und ihn mit dem nächsten mittelfristigen EU-Haushaltsrahmen (MFR) zu verknüpfen. Details zur Größe und Finanzierung wurden nicht genannt.An den Börsen wurde die unklare Situation am Freitag zunächst ebenfalls negativ auf aufgenommen. “Die Investoren senken den Daumen”, sagte Ökonom Stefan Koopman von der Rabobank. Die aktuellen Pläne der Regierungschefs würden nur als Notlösung wahrgenommen.Friedrich Heinemann, Finanzwirtschaftsexperte des ZEW Mannheim, verwies darauf, dass die geplante Verankerung des Wiederaufbaufonds im EU-Finanzrahmen viel zu lange dauere, bis dieser wirken könne. “Es ist gut möglich, dass nennenswerte Volumina erst ab 2022 und später fließen, wenn sich Europa ohnehin bereits erholt.” EU-Ratspräsident zufriedenUnter den Teilnehmern des Videogipfels gab es gemischte Reaktionen auf das Ergebnis. Während etwa Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron darauf verwies, dass die Meinungsverschiedenheiten bezüglich der großen europäischen Wiederaufbauhilfe anhielten, zeigte sich EU-Ratspräsident Charles Michel recht zufrieden. “Wir haben den starken Willen bekundet, gemeinsam voranzukommen”, stellte er klar. Der Videogipfel Ende März war Beobachtern zufolge deutlich kontroverser verlaufen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach nun von einer “sehr guten Atmosphäre”, die von dem gemeinsamen Bewusstsein getragen worden sei, dass man einstimmig entscheiden und gemeinsame Wege finden müsse.Merkel unterstützte ein europäisches Wiederaufbauprogramm: “Ich will ganz deutlich sagen: Eine solche gemeinsame Antwort ist auch im deutschen Interesse. Denn auch uns wird es auf Dauer nur gut gehen, wenn es Europa gut geht. Wir sind durch Wertschöpfungsketten mit ganz Europa verbunden.”EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will nun detaillierte Vorschläge für den Wiederaufbaufonds und seine Verknüpfung mit dem künftigen EU-Haushalt bis spätestens Mitte Mai erarbeiten. Sie sagte nach dem Videogipfel, sie könne sich ein Budget vorstellen, dass ab 2021 für zwei bis drei Jahre ein Volumen von 2 % des Bruttonationaleinkommens (BNE) erhält, um mit dem Geld den Wiederaufbau zu finanzieren. Derzeit hat der EU-Haushalt ein Volumen von gut 1,1 % des BNE. Die Bundesregierung hatte vor der Coronakrise auf eine Begrenzung von 1,0 % gedrungen.Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer verwies darauf, dass für die Finanzierung des Wiederaufbaufonds weder Corona-Bonds noch EU-Anleihen oder andere Instrumente auf absehbare Zeit politisch durchsetzbar seien. “Der Streit zwischen den südlichen und nördlichen EWU-Ländern geht weiter; die EZB bleibt als Ausputzer eingespannt.” Alle blicken auf die EZBIn der EZB dürfte das Gipfelergebnis mit einiger Ernüchterung aufgenommen worden sein. EZB-Präsidentin Christine Lagarde wünscht sich seit langem stärkere Unterstützung durch die EU-Politik und warnt davor, zu wenig zu tun und zu spät zu handeln. Wie aus Notenbankkreisen verlautete, stellte Lagarde beim Videogipfel drei Szenarien vor, nach denen die Euro-Wirtschaft 2020 um 5 %, 9 % oder 15 % schrumpfen könnte – je nach Dauer der Pandemie und der Eindämmungsmaßnahmen. Das 5-Prozent-Szenario gilt intern schon als nahezu ausgeschlossen.Das Zaudern der Politik erhöht den Druck auf die EZB, erneut nachzulegen. Laut einer gestern veröffentlichten Bloomberg-Umfrage erwartet eine große Mehrheit der Volkswirte eine deutliche Ausweitung der EZB-Anleihekäufe. Hintergrund sind auch wieder gestiegene Anleiherenditen für Länder wie Italien. Ein Viertel der Umfrageteilnehmer erwartet eine Aufstockung bereits bei der Sitzung am Donnerstag. Die EZB steckt aber in einem Dilemma: Sie will auch nicht voreilig auf Marktspekulationen reagieren und die Politik aus der Verantwortung nehmen.