MACHTWECHSEL IN WASHINGTON

Das Vermächtnis des Provokateurs

Warum Trump sich selbst als großen Reformer sieht

Das Vermächtnis des Provokateurs

Von Peter De Thier, WashingtonKein Präsident in der modernen Geschichte hat in nur vier Jahren die Vereinigten Staaten von Amerika so tiefgreifend verändert wie Donald J. Trump. Ginge es nach Trump, dann würde er in die Annalen eingehen als großer Reformer: als Präsident, der das politische Establishment aufgewühlt hat, mit einer umfassenden Steuerreform die Wirtschaft ankurbelte, durch Deregulierung die Privatwirtschaft entfesselte und Handelskriege anzettelte, um bessere Wettbewerbsbedingungen für US-Exporteure sicherzustellen.Sein Vermächtnis reicht aber weit über gesetzliche Initiativen und Dekrete hinaus. Trump vererbt dem neuen Präsidenten Joe Biden zudem einen politischen Trümmerhaufen, der sich vor allem in einem heillos zerstrittenen Kongress manifestiert. Zudem hat der 45. Präsident latente Ressentiments und schwelenden Rassismus ans Tageslicht gebracht, die am 6. Januar in dem Sturm auf das Kapitol, das Wahrzeichen der amerikanischen Demokratie, gipfelten. Er hinterlässt seinem Nachfolger sowie einer ganzen Generation von Amerikanern eine tief gespaltene Nation und hat in der Gesellschaft Wunden aufgerissen, die Jahre brauchen werden, um zu verheilen. Wirkungsvolle Steuerreform Die politischen Errungenschaften verdienen einerseits Anerkennung. Mit der Ende 2017 verabschiedeten Steuerreform entlastete Trump Unternehmen, die zuvor unter dem mit Abstand höchsten Steuersatz aller OECD-Länder ächzten. Zwar musste auch die Mittelklasse weniger ans Finanzamt abführen, doch die größten Nutznießer waren Multimillionäre, die von der Senkung des Spitzensteuersatzes und höheren Freibeträgen für die Erbschaftsteuer profitierten.Übertrieben hat Trump hingegen die Tragweite seiner Justizreform, die er als historischen Durchbruch feierte. Das Gesetz bestand im Wesentlichen aus Strafverkürzungen für Tausende Verbrecher. Über diese beiden legislativen Erfolge hinaus zeichnete sich die einzige Amtsperiode des Republikaners durch Provokation und Spaltung aus. Trump ignorierte eine historische Pandemie und hat damit verhindert, dass die Gesundheitskrise und ihre wirtschaftlichen Folgen frühzeitig angepackt werden konnten.Der Präsident bestrafte Handelspartner mit Einfuhrzöllen für Stahl, Aluminium und andere Produkte. Allein China überzog er mit Zöllen auf Exporte im Wert von über 350 Mrd. Dollar und kokettierte zudem lange Zeit mit Zöllen für europäische Autos, die der damalige EU-Kommissionspräsident Juncker bei einem denkwürdigen Besuch in Washington abzuwenden wusste.Das politische Erbe besteht zudem im Unterlaufen der Demokratie, dem Umwerben von Diktatoren und Trumps rigorosem Unilateralismus. Er drohte mit einem Austritt aus der Nato und konnte damit bewirken, dass Partnerländer ihre Verteidigungsausgaben erhöhten. Der Präsident verließ den UN-Menschenrechtsrat, kündigte das Pariser Klimaabkommen auf und wollte die Weltgesundheitsorganisation verlassen. Die Umsetzung der beiden letztgenannten Vorhaben, die dieses Jahr in Kraft getreten wären, wird Biden abwenden können. Um die Spaltung und den politischen Schaden, den Trump angerichtet hat, zu überwinden, könnte es aber deutlich mehr als nur eines Joe Biden bedürfen.