LEITARTIKEL

Das Bewährungsjahr

Es ist ein besonderer Start in den parlamentarischen Herbst in diesem Jahr. Die Coronakrise hat schon allein den Zeitplan durcheinandergewirbelt. Anders als üblich startet der Bundestag nicht mit der ersten Lesung des Bundeshaushalts für das nächste...

Das Bewährungsjahr

Es ist ein besonderer Start in den parlamentarischen Herbst in diesem Jahr. Die Coronakrise hat schon allein den Zeitplan durcheinandergewirbelt. Anders als üblich startet der Bundestag nicht mit der ersten Lesung des Bundeshaushalts für das nächste Jahr. Diese Debatte ist immer ein Schaufenster für die anstehenden politischen Vorhaben der Regierung und auch die Opposition kann sich positionieren. Der Etatentwurf, der sonst Ende Juni vor der Sommerpause das Kabinett passiert, lässt bislang noch auf sich warten. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat wegen der enormen Finanzhilfen des Bundes in der Covid-19-Pandemie den Entwurf 2021 und die mittelfristige Finanzplanung bis 2025 in diesen Herbst verschoben – in der Hoffnungen, die Folgen der Krise dann besser beurteilen zu können als noch vor einigen Monaten. Der Bundestag wird das Rechenwerk nun Ende September beraten, das Kabinett entscheidet kurz zuvor.Damit werden bereits Weichen für den Verlauf der restlichen Legislaturperiode gestellt. Denn mit der Entscheidung über Geld fallen auch Entscheidungen über Schwerpunkte der Politik. Der finanzielle Verteilungsspielraum wird enger werden, wenn der Bund den Krisenmodus verlässt und die Haushaltspolitik wieder in den Normalzustand zurückkehrt. In diesem Jahr hat der Bundestag eine exorbitante Neuverschuldung von 218 Mrd. Euro gebilligt und die Schuldenbremse dafür ausgesetzt. Allem Anschein nach wird auch 2021 eine hohe Nettokreditaufnahme nötig sein – die Rede ist von 80 Mrd. bis knapp 100 Mrd. Euro – und ein zweites Mal eine Ausnahme von der Schuldenbremse. Nach aktueller Gesetzeslage muss der Bund schon 2023 beginnen, die Schulden aus 2020 zu tilgen. Möglichst bald sollten deshalb Ausgaben und Einnahmen wieder im Einklang stehen, damit dies gelingt. Zentral dafür ist, dass die Wirtschaft möglichst bald wieder floriert.In den Fraktionsklausuren zum Auftakt der Sitzungsperiode zeichnet sich ab, wohin die politische Reise gehen könnte. Ganz oben auf der Tagesordnung steht Krisenmanagement in Coronazeiten. Zugleich bricht in diesem Herbst aber ein Bewährungsjahr an, das viel von den Fraktionen verlangt. In gut zwölf Monaten wird ein neuer Bundestag gewählt. Die Fraktionen müssen jetzt schon zeigen, dass sie mehr können als Krise managen und Geld ausgeben. Dies alles fällt in eine Zeit der Suche. Angela Merkel (CDU) tritt als Bundeskanzlerin nicht mehr an. Führungsfragen sind offen, nicht nur bei der CDU. Die Grünen stehen nach ihrem kometenhaften Aufstieg vor der Frage, ob sie ihre Doppelspitze aufgeben und mit einem Kanzlerkandidaten, einer Kanzlerkandidatin ein linkes Bündnis mit der SPD anstreben – oder sich in Richtung des bürgerlichen Lagers orientieren. Mit ihrem neuen Kanzlerkandidaten Scholz löst sich die SPD gerade zart von ihrem historischen Umfragetief. Die FDP ringt um den Verbleib im Bundestag. Die ebenfalls schwächelnde Linke muss sich mit neuer Parteispitze entscheiden, ob sie Regierungspartei werden oder die ewige Forderungspartei bleiben will. Die AfD hat seit 2017 Federn gelassen. Freunde hat sie im Bundestag keine.Fragt man die Wirtschaft, stehen Investitionen in die Infrastruktur, vorrangig in die digitale Infrastruktur, sowie Bürokratieabbau prominent auf deren Wunschliste. Die Unionsfraktion hat dies in ihren Klausurbeschluss aufgenommen. Darüber hinaus bietet sich ein buntes Bild. Die SPD setzt auf den Sozialstaat als zentrale Instanz, will die Hartz-IV-Grundsicherung durch ein Bürgergeld ersetzen und Kinderrechte im Grundgesetz verankern. Die Grünen fassten Beschlüsse zum Klimaschutz und zu mehr Lebensqualität in den Städten. Die CSU macht sich für eine Autokaufprämie und Milliardenbeträge für die Batteriezellenforschung stark, mehr finanzielle Hilfe für Kinderbetreuung und Alleinerziehende, eine höhere Minijobgrenze, mehr steuerliche Forschungsförderung für kleine Unternehmen und eine auf 25 % ermäßigte Unternehmensbesteuerung. Eine klarere Linie würde ein Beschluss von CDU und CSU bringen, neben der obligatorischen Investitionsquote eine Zukunftsquote in den Bundeshaushalt einzuführen. Diese soll sicherstellen, dass der Bund kontinuierlich Mittel für Bildung und Forschung, neue Technologien, Digitalisierung und moderne Infrastruktur, Umwelt- und Klimaschutz sowie Entwicklungshilfe ausgibt. All dies zählt im Haushaltsrecht nicht zwangsläufig als Investitionen. Eine solche Quote brächte deutlich mehr Transparenz, welche Bundesaufgaben konsumtiv und welche nach vorn gerichtet sind. Für den Weg aus dem Krisenmodus wäre dies hilfreich.——Von Angela WefersZum Auftakt der Sitzungsperiode des Bundestags suchen die Fraktionen den Weg aus der Krise. Sie blicken aber auch schon auf den Wahltermin 2021.——