EUROPA VERHANDELT ÜBER DAS SCHICKSAL GRIECHENLANDS - IM GESPRÄCH: WILLIAM WHITE

"50 Cent von 1 Dollar sind besser als nichts"

Ex-BIZ-Chefvolkswirt plädiert für einen Schuldenschnitt zugunsten Griechenlands - Moral-Hazard-Probleme sollen durch strengere Regeln eingedämmt werden

"50 Cent von 1 Dollar sind besser als nichts"

Von Mark Schrörs, FrankfurtDie Euro-Länder sollten nach Einschätzung des früheren Chefvolkswirts der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), William White, einen Schuldenschnitt für Griechenland billigen – und das auch für andere Krisenländer tun. “Der einzige Ausweg ist, dass die Kreditgeber – inklusive der Staaten – akzeptieren, dass in vielen Fällen ,das Geld weg ist’ und abgeschrieben werden muss, wenn die Peripherieländer überhaupt eine Chance auf Erholung haben sollen”, sagte White der Börsen-Zeitung. Im Gegenzug sollte durch Regulierung und schärfere Regeln sichergestellt werden, dass sich solche Probleme nicht wiederholen.Mit seinen Aussagen heizt White die Debatte in der Eurozone über eine neuerliche Schuldenerleichterung für Griechenland an. Die neue Regierung in Athen um Premier Alexis Tsipras dringt darauf, stößt allerdings bislang bei den Kreditgebern in der EU auf Widerstand. Eigentlich hatte sie im Wahlkampf einen expliziten Schuldenschnitt gefordert. Davon war sie zuletzt aber ein wenig abgerückt und derzeit steht das nicht im Mittelpunkt der Debatte mit den Euro-Partnern. Nach Ansicht vieler Beobachter ist Griechenlands Schuldenlast aber auf Dauer nicht ohne einen solchen Schnitt nachhaltig. Geordnete UmstrukturierungWhite war von 1995 bis 2008 Chefvolkswirt der BIZ, der Zentralbank der Zentralbanken. Weil er lange vor der Finanzkrise 2007/2008 vor den Risiken im System gewarnt hatte, die sich nicht zuletzt im Zuge der ultralockeren Geldpolitik aufgebaut hatten, sehen ihn heute viele als “Krisenprophet”. Zugleich gilt er als Ökonom, der nüchtern die Möglichkeiten von Geld- und Fiskalpolitik betrachtet und stets vor übertriebenen Erwartungen warnt.Mit Blick auf Griechenland plädiert White nun für eine “geordnete Umstrukturierung”. Ein solches Vorgehen sei genau das, wie im Fall “unvernünftiger Kreditvergabe” verfahren werden sollte. Denn: “50 Cent von 1 Dollar sind für die Kreditgeber viel besser als nichts im Fall eines ungeordneten Prozesses.” Im Gegenzug müsse Tsipras’ Regierung aber in Sachen Strukturreformen “liefern”, nicht zuletzt, um das Wachstumspotenzial zu erhöhen: “Das muss die Basis eines Deals sein.”White verwies darauf, dass Athen sehr viel an ambitionierter Gesetzgebung verabschiedet habe. Die Umsetzung hinke aber deutlich hinterher. Insbesondere die Fortschritte bei der Reform der Steuerverwaltung und beim Privatisierungsprozess seien “enttäuschend”. Dahinter stecke aber womöglich die Wahrnehmung, dass alle Vorteile dieser Reformen dem Ausland zugutekämen in Form eines sichereren Schuldendienstes.Auf die Frage, ob sich an einem solchen Schuldenschnitt auch die Europäische Zentralbank (EZB) mit den von ihr gehaltenen griechischen Staatsanleihen beteiligen solle oder ob monetäre Staatsfinanzierung durch die Notenbankpresse bedeute, sagte White, das Abschreiben von Schulden erscheine ihm als etwas völlig anderes als eine solche Staatsfinanzierung. Bei Letzterem gehe es darum, dass eine Zentralbank Anleihen der eigenen Regierung kauft und so sowohl ihre Vermögenswerte als auch ihre Verbindlichkeiten erhöht. Die Sorge sei, dass das am Ende in Inflation endet. Im Fall einer Abschreibung würden aber sowohl die Vermögenswerte als auch die Verbindlichkeiten schrumpfen, in der Form eines einmaligen Verlusts von Kapital. Dieser Verlust würde dann gegebenenfalls getragen von den Regierungen.White räumte ein, dass es durch einen Schuldenschnitt zu Moral-Hazard-Problemen kommen könnte. Dann bräuchte es aber eben eine “große Anstrengung”, um etwa durch eine bessere Regulierung von Kreditgebern oder Fiskalregeln wie dem “Six Pack” in der EU sicherzustellen, dass etwas Ähnliches nicht wieder passiert. “Six Pack” bezeichnet die sechs europäischen Gesetzgebungsmaßnahmen, die die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und das neue gesamtwirtschaftliche Überwachungsverfahren auf den Weg gebracht haben.White nannte es in dem Zusammenhang “verrückt”, dass in der Eurozone nun solche Maßnahmen eingeführt würden, um die nächste Krise zu verhindern, ohne den Schuldenerlass zuzulassen, der nötig sei, um die Krise zu lösen, in der sich die Eurozone aktuell befindet.Was andere Länder betrifft, die womöglich einen Schuldenschnitt bräuchten, wollte White kein einzelnes hervorheben. Er verwies aber darauf, dass es bei der Frage, ob die Verschuldung eines Landes nachhaltig ist oder nicht, auf eine außerordentlich lange Liste wirtschaftlicher und politischer Faktoren ankomme. Entscheidend sei auch nicht nur die staatliche Verschuldung, sondern wichtig sei auch die private Verschuldung – zumal diese am Ende doch wieder auf den “Büchern” der Staaten landen könnte. Weltweit zu viele SchuldenWhite betonte, dass das Niveau der Verschuldung von Privathaushalten, Unternehmen und Regierungen heute “substanziell höher” sei als vor Ausbruch der Krise. “Wir haben Schulden aufgebaut statt Schulden abgebaut”, sagte White. Da das Abschreiben solcher Schulden stets sehr schmerzhaft sei, sollte seiner Ansicht nach sehr viel ernsthafter über Vorschläge diskutiert werden, Schulden in eigenkapitalähnliche Instrumente umzuwandeln. “Wenn Kreditgeber und Schuldner beide von Wachstum profitieren, haben beide einen größeren Anreiz dafür zu sorgen, dass es tatsächlich Wachstum gibt”, sagte White.