Öffentliche Haushalte

Stabilitäts­beirat dringt auf mehr Disziplin

Deutschland wird in den nächsten Jahren die EU-Defizitgrenzen reißen. Der unabhängige Beirat des Stabilitätsrats wirft Bund und Ländern vor, das Defizit nicht ambitioniert genug abzubauen.

Stabilitäts­beirat dringt auf mehr Disziplin

wf Berlin

Bund und Länder können auch 2023 die europäische Defizitgrenze nicht einhalten. In diesem Jahr dürfte das Defizit 2,5% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreichen und 2023 auf 3,25% steigen. Dies gab Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nach der Sitzung des Stabilitätsrats von Bund und Ländern in Berlin bekannt. „Diese Entlastungen und insbesondere der Abwehrschirm spiegeln sich im Bundeshaushalt wider und beeinflussen das gesamtstaatliche Defizit“, sagt Lindner vor der Presse. „Spätestens wenn die Maßnahmen ab dem Jahr 2024 auslaufen, werden wir eine Normalisierung der Staatsfinanzen sehen“, versprach er. Der Stabilitätsrat überprüft regelmäßig die deutschen Staatsfinanzen.

Der unabhängige Beirat des Stabilitätsrats aus Wissenschaftlern sieht die Lage kritischer. Die Fiskalprojektion des Finanzministeriums halten die Wissenschaftler für „vertretbar“. Die Lage sei derzeit ausgesprochen unsicher, sagte Beiratsvorsitzenden Thiess Büttner, Finanzwissenschaftler an der Universität Erlangen-Nürnberg, vor der Presse. Für „nicht überzeugend“ hält der Beirat indessen die Argumentation von Bund und Ländern, die überhöhten strukturellen Finanzierungsdefizite bis 2026 stünden im Einklang mit den EU-Regeln. Der Abbaupfad sei nicht ausreichend, urteilen die Wissenschaftler. Zwar werde von 2024 bis 2026 das strukturelle Defizit voraussichtlich um die geforderten 0,5% im Jahresdurchschnitt verbessert, doch sei der Ausgangswert überhöht. Der Beirat hält in diesem und im nächsten Jahr niedrigere Defizite für wahrscheinlich. Zudem werde 2026 die nötige Verbesserung nicht eingehalten.

Berlin ignoriert Brüssel

Grund dafür sei, dass die deutschen Haushalts- und Finanzplanungen nicht der Empfehlung der EU-Kommission für 2023 folgten. Brüssel legt Büttner zufolge einen weniger expansiven Kurs und zielgerichtetere Maßnahmen im nächsten Jahr nahe. Die mittelfristigen europäischen Vorgaben werden durch die Schuldenbremse nicht mehr abgesichert, konstatiert der Beirat. Die Fiskalregeln der EU berücksichtigten alle Schattenhaushalte. Die in der Schuldenbremse geänderte Buchungspraxis für Sondervermögen hierzulande eröffne nun „einen weiten Spielraum“. 2023 verfügten die über Kredite finanzierten Sondervermögen in den nächsten Jahren über Defizitspielraum von rund 400 Mrd. Euro.

Wenig Erbauliches fördert der Beirat über die Finanz- und Haushaltsplanung der Länder zutage. „Es ist kaum mehr möglich, einen Überblick über die jeweiligen Vorgehensweisen der Länder zu erhalten“, schreibt der Beirat in seiner Stellungnahme und schließt sich dabei selbst ein. Die Länder setzten mitunter umfangreich auf Ausnahmeklauseln, Nebenhaushalte und Vorfinanzierung künftiger Ausgaben über Notlagenkredite. Die Fiskalregeln könnten nur eingehalten werden, wenn auch die Bundesländer ihrer Verpflichtung nachkämen, mahnt der Beirat. „Es gibt zudem Vorgänge, die die Glaubwürdigkeit und Bindungswirkung der Schuldenregeln nachhaltig zu beschädigen drohen.“ So hätten in der Coronazeit viele Länder mehr Notlagenkredit aufgenommen, als für die Pandemieausgaben nötig waren.

Die Länder dringen indessen auf einen regulären größeren Spielraum bei der Kreditaufnahme. Schleswig-Holsteins Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) forderte eine Debatte unter den Ländern, die künftig eine strukturelle Verschuldung von 0,15% des BIP erlauben soll. Bislang liegt der Wert bei null. Die Länder hätten vor vielen Jahren auf ihre Verschuldungsmöglichkeit verzichtet, sagt Heinold. Der Bundesspielraum liegt bei 0,35%. Zusammen kämen sie auf den EU-Wert von 0,5%. Mit Blick auf Klimagerechtigkeit und die Finanzierung der Transformation müsse diese Ausweitung debattiert werden, so Heinold.

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