Chemieindustrie

„Es fehlt an Aufträgen“

Nach dem Einbruch im vergangenen Jahr erwartet die deutsche Chemieindustrie 2023 noch keine durchgreifende Erholung. Es gebe eine Bodenbildung in den ersten Monaten des neuen Jahres, fehle aber an Aufträgen

„Es fehlt an Aufträgen“

swa Frankfurt – Nach einem sehr schwachen vierten Quartal 2022 blickt die deutsche Chemieindustrie wieder mit etwas mehr Zuversicht in die Zukunft. Die Erleichterung der Unternehmen über die deutlich gesunkenen Gaspreise ist hoch, erläutert Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands VCI. Doch auch wenn sich die Stimmung aufhelle, viele Probleme bestünden fort und viele Aufgaben seien nicht gelöst.

Für eine grundlegende Entwarnung sieht der Branchenvertreter keine Veranlassung. Die Chemie habe sich robuster gezeigt als erwartet. Das Worst-Case-Szenario eines Blackouts sei 2022 zwar ausgeblieben. Es sei gelungen, Energie einzusparen und neue Quellen anzuzapfen. Geholfen habe auch der ungewöhnlich milde Winter, sagt Große Entrup: „Petrus ist ein Chemiker.“ Doch die Produktion in Deutschland sei von Quartal zu Quartal immer dramatischer gesunken. Die Pharmaindustrie herausgerechnet ging es im vierten Quartal in der Chemieproduktion um 23,6% bergab. Besonders hart getroffen hat es die Basischemie.

Für das Jahr meldet der Verband Produktionseinbußen in Chemie und Pharma um 6,6%, in der Chemie allein fällt der Rückgang mit 11,9% zweistellig aus. Preissteigerungen um 22% sorgten dafür, dass 2022 noch ein Umsatzanstieg um 16,6% auf 265 Mrd. Euro gebucht wird. Im vierten Quartal jedoch zeigt sich die Trendumkehr in den Erzeugerpreisen. Sie sanken erstmals seit dem zweiten Quartal 2020. „Die Kunden halten sich zunehmend mit Bestellungen zurück, in der Chemie fehlen die Aufträge“, warnt Große Entrup. Die Gewinne in der Branche seien „dramatisch geschrumpft“. Die Kapazitäten wurden heruntergefahren, viele Anlagen könnten langfristig nicht mehr rentabel sein.

Aus Sicht des Branchenverbands ist die Talsohle auf niedrigem Niveau erreicht, eine kraftvolle Erholung sei aber nicht in Sicht. Die im internationalen Vergleich hohen Energiekosten, Auftragsmangel und Standortprobleme sprächen dagegen. Im ersten Quartal 2023 zeichne sich ein kleines Plus zum sehr schlechten Vorquartal ab. Das Produktionsniveau habe im Januar auf dem Niveau von Oktober/November 2022 gelegen. Damit ergebe sich eine Bodenbildung. Gleichwohl rechnet der VCI  für 2023 abermals mit einem Produktionsrückgang von 5% und ohne Pharmageschäft von 8%. Bei rückläufigen Preisen werde der Branchenumsatz voraussichtlich um gut 7% sinken. Die Volatilität bleibe hoch und sorge für Unsicherheit in der Prognose, sagt Große Entrup.

Industriestromtarif erwünscht

Der Branchenvertreter mahnt schnelles politisches Handeln an, um den Standort Deutschland zu retten. Es brauche den industriepolitischen Neustart. Planungs- und Genehmigungsverfahren müssten entschlackt und beschleunigt werden – „sonst investiert hier keiner mehr“. Das hält Große Entrup für wichtiger als „jegliche Subvention“.

In der Energiepolitik fordert der VCI, alle Energieträger ans Netz zu nehmen und den Ausbau Erneuerbarer voranzutreiben. Zudem plädiert er dafür, befristet einen Industriestrompreis einzuführen – wie es Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck jüngst signalisiert hat. Große Entrup hält einen Tarif zwischen 5 und 10 Cent pro Kilowattstunde für sinnvoll – „eher Richtung 5“. Die Politik müsse der Industrie diese Brücke bauen, um Planungssicherheit zu schaffen, fordert der Branchenvertreter und warnt: „Sonst ist nach der Energiewende in Deutschland keine Industrie mehr da.“

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