IM INTERVIEW: HENNING GEBHARDT

"Man wird nicht alle Unternehmen stützen können"

Der Ex-DWS-Fondsmanager sagt einen traurigen IPO-Markt in Deutschland voraus - Sachwerte wie Aktien und Immobilien im Blick

"Man wird nicht alle Unternehmen stützen können"

Der Investmentexperte Henning Gebhardt setzt auf liquide Sachwerte und insbesondere auf Aktien. Die Aussichten seien positiv und mit der Verbreitung von Corona-Impfstoffe würden sich die Gewinne erholen. Angesichts der ultralockeren Geld- und Fiskalpolitik warnt Gebhardt vor einer möglichen Inflation. Herr Gebhardt, Sie werden damit zitiert, dass Sie US-Präsident Donald Trump gerne mal die Meinung sagen würden. Wie sehen Sie das heute?Die Wahl ist durch und dass Trump die Niederlage bisher nicht anerkannt hat, ist ein kleiner Unsicherheitsfaktor, der aber nicht mehr lange anhalten wird. Allerdings ist schon jetzt klar, dass wir einen Schritt hin zu einer mehr demokratischen Politik bekommen. Das bedeutet aber auch, dass Themen wie zum Beispiel Steuersenkungen, die die Börse gefeiert hat, mittelfristig möglicherweise korrigiert werden. Erwarten Sie dadurch denn kurzfristige Kursbelastungen?Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Präsident Biden in dieser ökonomisch wackeligen Phase gleich mit Steuererhöhung kommen wird. Positiv ist zu bewerten, dass die Unsicherheit im Außenhandel abnehmen dürfte. Bewegung gibt es sicher auch in Themenfeldern, die die Börse nicht direkt tangieren, wie internationale Zusammenarbeit oder WHO. Weniger Unsicherheit in den Handelsbeziehungen wäre für die Märkte doch positiv, oder?Ja, aber man muss zurückhaltend sein. In den USA ist die Beziehung zu China ein sensibles Thema und dort sind sich alle einig, dass man Peking Kante zeigen muss. Aber eine gewisse Normalisierung wird es unter Biden sicherlich geben. In Europa gibt es sicher ein größeres Aufatmen. Wichtiges Thema in den USA war das Tauziehen um ein neues Fiskalpaket. Was erwarten Sie von einer neuen Regierung?Ich gehe davon aus, dass spätestens im Frühjahr eine weitere fiskalische Unterstützung kommt. Denn es ist nicht zu erwarten, dass die Wirtschaft so schnell wieder in Gang kommt. Die Corona-Lage in den USA verschärft sich ebenfalls erheblich. Das Fiskalpaket hatte die Börse ein wenig aus den Augen verloren, aber wenn es kommt, wird es ein unterstützender Faktor. Das klingt so, als wären sie ganz positiv für US-Aktien gestimmt?Die Aussichten bleiben positiv. Wir haben in den letzten Monaten einen Anstieg der Bewertungen gesehen. Die müssen natürlich noch durch einen Rebound der Gewinne gestützt werden. Wenn der Impfstoff kommt, dann ist auch davon auszugehen, dass damit eine Erholung der Gewinne einhergeht. Die geldpolitischen Maßnahmen weltweit scheinen keine Grenzen zu kennen. Trotzdem die Frage: Reicht das aus ihrer Sicht?Ich glaube, die Zentralbanken werden künftig stärker auf das Thema Arbeitsmärkte schauen. Sobald es größere Anzeichen von Schwäche gibt, werden die Zentralbanken noch mal eingreifen. Und ich fürchte, dass es dazu kommen wird. Bisher haben wir noch keine Pleitewelle gesehen, aber man wird nicht alle Unternehmen stützen können. Die Zinsen sind dauerhaft Null oder negativ. Welche den Einfluss hat das auf Investoren?Es wird eine Reallokation von Kapital geben. Interessanterweise investieren auch in Deutschland immer mehr Anleger in Aktien. Das hätte ich nicht mehr für möglich gehalten. Der Trend zu Aktien wird bleiben, denn eine monetäre Änderung der Zentralbankpolitik kriegen wir erst, wenn es zu Inflation kommt. Anzeichen dafür sehe ich nicht. Flüchtet das Geld von Tagesgeldkonten nur in Aktien oder auch noch in andere Assetklassen?Korrekt, es fließt nicht nur alles in finanzielle Assets, auch andere Assetklassen sind gefragt. Insbesondere Immobilien. Auch in den USA läuft der Immobilienmarkt sehr gut. Das hätte ich nicht gedacht. Und noch etwas: Vor der Krise hatten wir ein gutes Konsumklima. Im Moment sieht es natürlich anders aus, denn man kann Geld nur eingeschränkt ausgeben. Doch tendenziell sehe ich eher einen Trend zum Entsparen. Und das kann schnell wieder losgehen, wenn wir einen Impfstoff bekommen. Ich glaube, viele Menschen werden das aufholen, was sie 2020 verpasst haben. Das wird einen enormen Schub beim Konsum mit sich bringen. Von der Geldpolitik zu Fiskalpolitik. Es wurden unglaubliche Schuldenberge aufgehäuft. Welche Sorgen bereitet Ihnen das?De facto sind die staatlichen Haushalte aus dem Ruder gelaufen. Vielleicht nicht in Deutschland, aber zum Beispiel in Belgien, Spanien oder Italien. Dort wird es einen erheblichen Druck auf die Haushalte geben, denn die Schulden müssen irgendwann wieder runter. Ob diese Länder einen Primärüberschuss erzielen, sei mal dahingestellt. Es drohen Steuererhöhungen. Der andere Weg wäre Inflation. Und das ist wohl auch, worauf die Zentralbanken hinaus wollen. Aber wie gesagt, ich sehe zur Zeit noch keine Anzeichen für eine steigende Geldentwertung. Warum?Durch die internationale wirtschaftliche Verflechtung kommt es nur noch selten zu einer Verknappung an Märkten, die auch die Preise treiben würde. Von Ausnahmen einmal abgesehen. Man sieht auch nicht, dass von der Angebotsseite, also von Unternehmen, die aus dem Markt gehen, eine Verknappung erfolgt. Damit gibt es derzeit keinen Druck auf die Preise. Solange die Arbeitslosenzahlen zunehmen, wird der Lohndruck auch nicht weiter steigen. Dass Unternehmen aus dem Markt verschwinden, scheint eine ausgemachte Sache zu sein, oder?Sicher werden nicht alle durchhalten. Insofern ja, mehr Insolvenzen, aber es gibt ein anderes, interessantes Phänomen. Wir werden im nächsten Jahr mehr Kapitalerhöhungen sehen. Viele Unternehmen werden die Chance an den Märkten nutzen, ihre Eigenkapitalbasis zu verbessern. Was erwarten Sie von der kommenden IPO-Saison?Was Deutschland angeht, ist es traurig und wird es traurig bleiben. Die vier IPOs des laufenden Jahres zu überbieten, wird nicht schwerfallen. In Deutschland schrecken viele Unternehmen vor dem regulatorischen Umfeld eines Börsengangs zurück. An der Börse zu sein ist nicht billig und für viele auch nicht wirklich attraktiv. Die vielen Anforderungen wirken abschreckend. Ist die Regulierung im Bereich Börse in den USA so viel laxer?Nein, Reporting und Regulierung habe ich dort auch. Aber scheinbar nehmen das deutsche Unternehmen stärker als Hindernis wahr. In den USA ist es üblich, dass VC-Fonds Ihre Beteiligungen an die Börse bringen. In Deutschland verkaufen VC-und Private-Equity-Fonds ihre Beteiligungen eher an strategische Käufer und oft auch noch ins Ausland. Eine wichtige Rolle spielten in der Vergangenheit die Dividenden. Ist das Thema aktuell?Im Vergleich zum Gesamtmarkt haben Dividendenaktien zuletzt ziemlich aufgeholt, weil etliche Unternehmen aus den zyklischen Sektoren kommen. Viele der Dividendenaristokraten, Unternehmen, die über einen langen Zeitraum die Dividenden gesteigert haben, sind gut aufgestellt und haben sehr gute Bilanzen. Damit werden sie von der wirtschaftlichen Erholung profitieren. Dividendenwerte sind tatsächlich eine ganz charmante Idee, wenn man in den Markt einsteigen, aber das Risiko begrenzen will. Wie sehen Sie die Frage Large versus Small Cap?In Deutschland sind wahrscheinlich Large Caps interessanter, weil der Dax im Vergleich zum MDax einen deutlich höheren zyklischen Anteil hat. In Amerika sieht das anders aus, der Russell 2000 hat einen relativ starken zyklischen Anteil und ist seit Jahresanfang zurückgeblieben. Apropos Dax. Was halten Sie von der Indexreform? Sie haben lange den DWS Investa betreut, der sich am DAX 30 orientiert hat.Ich glaube, die Börse tut nicht gut daran, aus dem DAX 30 einen DAX 40 zu machen. Dadurch wird der MDax stark geschwächt. Ich denke, es wäre besser, wenn die Börse ihre gesamte Indexfamilie überdenkt und sich einen großen Wurf vornimmt. Es gibt seit Langem den Dax 100 oder HDax, der derzeit eher Spielball von Indexreformen ist. Ich denke, es ist der beste Index, den die Börse hat. Der Dax 100 ist besser diversifiziert, er hat viele Wachstumstitel und bietet kleinen Unternehmen bessere Chancen aufzusteigen. Zu Governance: Hätten Sie sich den Skandal Wirecard in diesem Ausmaß vorstellen können?Denkbar ist fast alles, aber dass man in ein solches System über einen so langen Zeitraum aufrechterhalten kann, habe ich nicht für möglich gehalten. Dass das von Prüfern, Aufsichtsräten und anderen nicht gesehen wurde, das ist schon bemerkenswert. Bei aller Empörung: Es ist natürlich ärgerlich, dass es im Dax passiert ist. Aber international hat es immer wieder auch große Betrugsfälle gegeben. Auch wenn der Fall anders gelagert ist, so gab es bei Grenke eine Attacke von Shortsellern.Diese Art von Shortsellerattacken finde ich sehr beunruhigend. Hier wird die durch den Wirecard-Vorfall ausgelöste allgemeine Verunsicherung am Markt ausgenutzt. Leider ist damit zu rechnen, dass wir so etwas häufiger sehen. Ursache für die Verunsicherung ist die Pandemie. Was sind für Sie wichtige Trends in der Krise?Das wird Sie nun nicht überraschen, wenn ich Digitalisierung sage. Aber das bleibt der Haupttrend. Interessant ist aber, dass andere Trends durch Corona unterbrochen werden beispielsweise Urbanisierung. Wenn man hört, wie leer und London und New York sind, das ist das genaue Gegenteil von Urbanisierung. Das Interview führte Wolf Brandes.