Wenig Rückhalt für neue DIN-Norm

Regelwerk für Finanzanalyse spaltet Branche und Verbraucherschützer - 42 Einzelthemen abgefragt

Wenig Rückhalt für neue DIN-Norm

Lange hat ein Expertengremium an einer Branchennorm für eine Finanzanalyse gepfeilt. Herausgekommen ist ein detailreiches Werk, das alle wesentlichen Finanzfragen abdeckt. Der Wunsch nach Vollständigkeitund einer klaren Rangordnung geht vielen aber zu weit – auch Verbraucherschützern.jsc Frankfurt – Nach mehr als vier Jahren Arbeit ist ein neues Regelwerk für die Finanzberatung fertig: Seit Freitag gibt die DIN-Norm 77230 im Detail vor, wie eine Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte aussehen sollte. Von A wie Auslandskrankenversicherung bis Z wie Zinsänderungsrisiko in der Immobilienfinanzierung sollen Berater alle wesentlichen Themen abfragen und den Bedarf nach einheitlichem Schema ermitteln, ehe sich ein Beratungsgespräch anschließt. Nach dem Willen der Initiatoren der Firma Defino Institut für Finanznorm soll sich das Werk im Beratungsalltag weithin durchsetzen und ein Orientierungspunkt sein.Ein Normausschuss aus Branchenvertretern, Verbraucherschützern und weiteren Experten hat am Deutschen Institut für Normung (DIN) das Regelwerk erarbeitet. Trotz langer Vorbereitung spaltet die Norm die Branche. Schon zum Entwurf im Juli hielten sich Verbände von Sparkassen und Kreditgenossen zurück (vgl. BZ vom 31.7.2018). Der Sparkassenverband DSGV begrüßte am Freitag zwar auf Nachfrage den Schritt, branchenweite Qualitätsstandards zu definieren – distanzierte sich allerdings von einem “puren Abarbeiten eines allgemeingültigen Fragebogens”. Der genossenschaftliche BVR will die Norm den Angaben nach noch analysieren. Im Normausschuss waren Vertreter der Deutschen Bank und Commerzbank, Allianz und Zurich, der Finanzvertriebe OVB und Formaxx vertreten, während der Versichererverband GDV in beobachtender Rolle das Projekt begleitet hat. DSGV und BVR fehlten.Auch Verbraucherschützer sind gespalten. Während sich die Stiftung Warentest hinter das Vorhaben stellte und es gemeinsam mit der Firma Defino in der Öffentlichkeit präsentierte, stießen Vertreter der Verbraucherzentralen nur vorübergehend zum Normausschuss hinzu und verließen das Gremium später wieder.Nach Auffassung von Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale in Baden-Württemberg dominiert im provisionsbasierten Vertrieb der Produktverkauf. “Man kann aus einem Verkaufsgespräch mittels einer Norm kein Beratungsgespräch machen”, sagt der Abteilungsleiter für Altersvorsorge, Banken und Kredite. Auch beschränke sich die Norm auf die “Exploration” der Kundenbedürfnisse und mache dabei zu starre Vorgaben, was einer individuellen Beratung entgegenstehe. Vorgaben für die anschließende Beratung und konkrete Empfehlung fehlten jedoch. “Das ist nur die halbe Strecke.”Der Initiator des Vorhabens, Defino-Vorstand und Ausschuss-Obmann Klaus Möller, hat den Fokus auf eine Analyse jedoch wiederholt verteidigt. Er vergleicht das Werk mit dem Schema einer ärztlichen Diagnose, die nach einheitlichem Standard erfolgen müsse. Die anschließende Therapie liege dann im Ermessen des Arztes.Die Norm gleicht einer Untersuchung vom Zeh bis zur Haarspitze. Eine Vermögensbilanz, eine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung sowie ein Soll-Ist-Abgleich sind Teil der Diagnose, darüber hinaus 42 Einzelkategorien. Allein zur privaten Haftpflicht führt die neue Norm neben der allgemeinen Variante und der Kfz-Versicherung die Punkte Tierhaltung, Haus- und Grundbesitz, Bau und Sanierung, Gewässerschäden, Fotovoltaikanlagen, Jagd sowie Luft- und Wasserfahrzeuge auf. Das Haftungsrisiko Ehrenamt ergänzte das Gremium kurz vor Vollendung noch um eine Haftpflicht für führende Manager oder auch Datenschutz- und Brandschutzbeauftragte.Damit geht die Norm weit über die Angaben von Sparkassen und Kreditgenossen hinaus, die zwar eine umfassende Beratung skizzieren, auf eine genaue Aufschlüsselung von Einzelthemen aber verzichten. “Bestandsprodukte, Bedarf und Ziele sind höchst individuell. Deswegen ist die Beratung auch nicht vollständig automatisiert”, schreibt der DSGV. Knackpunkt DispokrediteDer Wunsch nach Vollständigkeit und einer logischen Rangfolge ist jedenfalls charakteristisch für die Norm. Den Entwurf vom Sommer hat das DIN-Gremium nur noch in Details geändert. Fragen zum Schuldenrisiko aus Dispo- und Konsumentenkrediten sind in der Rangfolge weiter nach oben gerückt und sind nun in der ersten Bedarfsstufe zu finden. Der Umgang mit Schulden ist gerade aus Sicht der Verbraucherzentralen ein wesentliches Thema.Das Regelwerk ist ab 163,80 Euro beim Beuth-Verlag erhältlich. Finanzberater können sich darüber hinaus bei Defino als DIN-Berater zertifizieren lassen, was für eine Einzelperson anfangs regulär 380 Euro kostet. Ein weiteres Werk ist bereits in Arbeit: Ein Expertenkreis arbeitet an einem Regelwerk zur Finanz- und Risikoanalyse für Freiberufler, Gewebetreibende, Selbständige und Unternehmer.—– Wertberichtigt Seite 6