Die Zeit der Versprechungen und Plattitüden ist vorbei

Angesichts von Klimawandel und Menschenrechtsverletzungen müssen Unternehmen, Vermögensverwalter und Politik verstärkt Verantwortung übernehmen

Die Zeit der Versprechungen und Plattitüden ist vorbei

Von den durch Greta Thunberg inspirierten globalen Protesten bis hin zu Initiativen multilateraler Organisationen wie der Vereinten Nationen, die Botschaft ist klar: Die Zeit für traurige Versprechungen über existenzielle globale Probleme wie den Klimawandel ist vorbei – es ist Zeit zum Handeln. Es wird entscheidend sein, die richtigen Anreize zu setzen, um diese Probleme anzugehen. Zuckerbrot und Peitsche sind hier gleichermaßen notwendig.Auf der Zuckerbrot-Seite besteht die wirksamste Maßnahme darin, die Investoren entsprechend zu schulen und zu ermutigen. Nur so können sie fundierte Entscheidungen hinsichtlich ESG-Fragen (Environment, Social und Governance) treffen und Unternehmen dazu zu bringen, echte Veränderungen vorzunehmen, um Investitionen zu sichern. Es sind auf der anderen Seite auch Maßnahmen erforderlich, um den Regulierungsbehörden Instrumente und Informationen an die Hand zu geben, die sie benötigen, um Unternehmen zu sanktionieren, die hinter den Erwartungen der Investoren zurückbleiben. Hier kommt die sprichwörtliche Peitsche ins Spiel.Nur wenn die Anleger Unternehmen anhand von klaren Kriterien vergleichen können, werden sie in der Lage sein, fundierte, positive Entscheidungen zu treffen. Und folglich können Regierungen und politische Entscheidungsträger durch entsprechende Richtlinien und Vorschriften darauf reagieren. Leider gab es diesbezüglich einen deutlichen Mangel an Standardisierung.Die sogenannten Unternehmens-Scorecards der jeweiligen Analysten zu ESG-Themen weisen oft unterschiedliche Kriterien auf – auch für Unternehmen derselben Branche. Ohne eine klare Methodik ist es grundsätzlich schwierig, diese Unterschiede bei Investitionsentscheidungen zu vereinheitlichen. Es gibt zudem immer wieder Meinungsverschiedenheiten darüber, welche ESG-Maßnahmen priorisiert werden sollten und welche Themen die größten Risiken darstellen.Die World Benchmarking Association (WBA) versucht daher, dies zu korrigieren, und geht mithilfe einer höheren Transparenz mit gutem Beispiel voran. Die von der UN-Stiftung, der Index-Initiative und Aviva ins Leben gerufene WBA überwacht eine neue Reihe von Rankings, welche die Fortschritte börsennotierter Unternehmen beim Erreichen der nachhaltigen Entwicklungsziele messen.Das Scoring konzentriert sich darauf, wie Unternehmen die jeweiligen ESG-Anforderungen erfüllen, und weniger, inwieweit sich ESG-Themen auf Faktoren wie den Cash-flow auswirken. Mithilfe dieser nachhaltigen Entwicklungsziele wird eine Konsistenz über Regionen und Sektoren hinweg erreicht. Dies ist bei Kennzahlen, die für verschiedene Wertpapiere unterschiedlich gelesen werden können, nicht der Fall.Diese Maßnahmen stellen einen entscheidenden Durchbruch dar, denn Investoren und anderen Interessengruppen wird es künftig möglich sein, jedes Ranking einzusehen und zu interpretieren, da die Methodik transparent und die Informationen frei verfügbar sind. Wir hoffen, dass dies zu einem Wettlauf an die Spitze führt. Denn Unternehmen wollen nicht hinterherhinken und Investitionen verlieren. Weitere wichtige InitiativeEine weitere wichtige Initiative für eine verbesserte Transparenz ist die Corporate Human Rights Benchmark. Sie hat herausgefunden, dass zwei Drittel der Unternehmen bei den sechs Schlüsselmaßnahmen, einschließlich Governance und Menschenrechtspraktiken, unter 30 % liegen. Derzeit ist das Engagement für einen existenzsichernden Lohn und die Geschlechtergleichstellung eher schwach ausgeprägt: Bisher sehen 40 % der Unternehmen über Men-schenrechtsverletzungen bei ihren Lieferketten hinweg.Wenn Investoren Unternehmen mit niedrigem Scoring den Rücken kehren, dürften ihre Fremdfinanzierungskosten steigen und die Aktienkurse sinken. Wenn Sie glauben, dass ESG-Faktoren einen großen Einfluss auf das langfristige Wachstum eines Unternehmens haben werden, können sie diese Informationen nicht ignorieren.Doch es gibt immer noch eine Herausforderung: Diese unterschiedlichen Initiativen müssen noch auf eine kohärente Weise zusammengeführt werden. Ein Teil unserer Vision ist es, dass Investmentmanager und ihre Fonds verantwortungsbewusste Kitemarks oder Kennzeich-nungen für Investitionen haben – ähnlich wie Fairtrade oder Lebensmittelkennzeichen mit wichtigen Gesundheitskennzahlen. Ein universeller Standard im Finanzsektor bedeutet, dass Vermögensverwalter auf der Suche nach Investoren und Unternehmen mit Blick auf Invest-ments wissen, dass alle Beteiligten – nämlich Anleger, Berater und Institutionen – künftig die Fondsdaten auch hinsichtlich eines ESG-Gütesiegels überprüfen werden. Der daraus resultierende Druck auf die Unternehmen dürfte sie dabei ermutigen, das Richtige zu tun.Das letzte Werkzeug auf der Zuckerbrot-Seite ist die frühzeitige Aufklärung. Es ist ein irrwitziges Versäumnis der Regierungspolitik, dass eine Finanzbildung in den Lehrplänen kaum stattfindet, obwohl ihre Bedeutung auf individueller und gesellschaftlicher Ebene zweifellos eine immer wichtigere Rolle spielt. Verfechter der MarktreformNun ein bisschen Realismus. Es ist nicht so, dass einer der genannten Punkte per se unrealistisch wäre. Vielmehr müssen wir uns darüber im Klaren sein, was die jeweilige Inte-ressensgruppe auf ihre Weise erreichen kann.Es wird deutlich, dass wir als Vermögensverwalter eine Interessensgruppe mit unverwechselbarer Kraft und Verantwortung sind. Als Verwalter des Kapitals anderer sind Assetmanager verpflichtet, Unternehmen und zunehmend auch Regierungen über Staatsanleihen zur Rechenschaft über ESG-Emissionen zu ziehen. Dies erreichen wir, indem wir ESG-Faktoren in unsere Anlageprozesse integrieren und Produkte entwickeln, die den wachsenden ethischen Anforderungen entsprechen.Wir haben auch noch eine andere Verantwortung: Wir müssen auf Veränderungen drängen, wenn wir Marktversagen erkennen. Allzu oft sind die tatsächlichen Kosten für die Ausübung eines Unternehmens, wie die Emission von Kohlenstoffdioxid, nichts, wofür Unternehmen bezahlen müssen. Das erleichtert es Investoren und Unternehmen leider, kurzfristige Entscheidungen zu treffen, die langfristig der Rendite und Gesellschaft schaden.Politische Entscheidungsträger spielen eine entscheidende Rolle, dieses Problem zu beheben. Indem sie die Rahmenbedingungen für Unternehmen und Investoren verbessern, könnten sie nachhaltige Praktiken fördern. Positiv ist, dass es bereits Initiativen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene gibt, nachhaltigere Finanzmärkte zu schaffen. Hierzu zählen unter anderem die UNO, die Europäische Hochrangige Expertengruppe für nachhaltige Finanzen und die Weltbank.Unabhängig davon, ob es darum geht, zu untersuchen, wie bestehende Finanzinstitute die Herausforderung annehmen können, den Klimawandel durch bessere Regulierung anzugehen, oder ob sie bei der Gründung der Sustainable-Stock-Exchanges-Initiative mithelfen, wir sind fest entschlossen, positive Veränderungen in unserer Branche und darüber hinaus zu bewirken. Zu berücksichtigende AspekteDas Ökosystem aus Unternehmen, Investoren und politischen Entscheidungsträgern ist komplex und die Herausforderungen können gewaltig erscheinen. In diesen Momenten sollten wir uns gründlich mit der Wechselwirkung von Zuckerbrot und Peitsche auseinandersetzen. Nur wenn wir die Investoren besser mit ihrem Geld verbinden, es ihnen erleichtern, fundierte ethische Entscheidungen zu treffen, und wenn wir Reformen zur Korrektur von Marktversagen fordern, können wir zuversichtlich sein, dass wir etwas bewirken. Steve Waygood, Chief Responsible Investment Officer bei Aviva Investors