Börsengänge

US-Börsen wirken wie ein Magnet auf europäische Unternehmen

Es gibt mehr Delistings als Börsengänge an europäischen Börsen. Zudem wandert ein Teil der IPOs ab. 7% der Emittenten entschieden sich 2023 laut EY für einen Börsengang im Ausland, 12 von 15 "Auswanderern" aus Europa gingen dabei in die USA.

US-Börsen wirken wie ein Magnet auf europäische Unternehmen

US-Börsen wirken wie ein Magnet auf europäische Unternehmen

Auf der Suche nach Liquidität wandern zwölf Listings nach New York ab. Rund 70 Mrd. Euro Börsenwert verschwindet durch Delistings vom Kurszettel.

Von Christoph Ruhkamp, Frankfurt

Aus Sicht von Investmentbankern nimmt das Problem besorgniserregende Ausmaße an: Es gibt mehr Delistings als Börsengänge an europäischen Börsen. Für das Verschwinden der Firmen vom Kurszettel lassen sich mehrere Gründe finden: Da ist zum einen die Übernahme gelisteter Unternehmen durch Wettbewerber oder die Übernahme durch Finanzinvestoren, die die Firma an der Börse als unterbewertet einschätzen. "In Europa wurden im Jahr 2023 in 83 Transaktionen gelistete Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von insgesamt mehr als 70 Mrd. Euro von der Börse durch Übernahmen weggekauft", fasst Bastian Schiedat zusammen, Leiter Equity Syndicate Kontinentaleuropa bei der Privatbank Berenberg.

Zum anderen ist da der Rückzug von der Börse, weil ein Unternehmen die Notierung mit Kapitalerhöhungen oder Anleiheemissionen nicht braucht und deshalb die Kosten des Listings einsparen will. Als Beweggrund wird häufig auch die mangelnde Liquidität genannt.

Hinzu kommt die Abwanderung von deutschen und europäischen Unternehmen an andere Börsenplätze. Rund 7% aller Listings sind Cross-Border-Börsengänge. Europa hatte in dieser Hinsicht 2023 erneut einen Aderlass zu verkraften. Im Oktober debütierte die Traditionsfirma Birkenstock mit einer Marktkapitalisierung von 8,6 Mrd. Dollar in New York. Zuvor war bereits der schwerste Dax-Konzern Linde mit seinem Listing nach Übersee umgezogen.

Weitere Beispiele für Auswanderer beim Listing waren die Schweizer Schuhfirma On Running, die schwedische Hafermilchmarke Oatly und der britische Chipdesigner Arm. Der irische Baustoffhersteller CRH verlegte sein Hauptlisting auf Druck des aktivistischen Investors Cevian in die USA – unter anderem, weil dort aufgrund der Käufe von börsengehandelten Indexfonds (ETF) die Bewertung steigt. Cevian drängt außerdem das FTSE-100-Unternehmen Pearson, das Listing in die USA zu verlegen. Börsenpläne für New York werden nun auch der deutschen Softwareschmiede Celonis nachgesagt.

Sondereffekt 2022 durch Porsche

Eigentlich ist das Umfeld für Börsengänge inzwischen gar nicht mal so schlecht: "Die Inflation kühlt ab, die Aktienindizes bewegen sich in der Nähe von Allzeithochs, und die Notenbanken erwärmen sich für die Idee einer Zinssenkung im Frühling 2024", skizziert Berenberg-Banker Schiedat die Lage. "Nur auf den ersten Blick erscheinen die IPO-Zahlen für 2023 niedriger." Wenn man jedoch den außergewöhnlichen Porsche-Börsengang mit 9,1 Mrd. Euro Emissionserlös im Jahr 2022 abzöge, dann ergäbe sich für 2023 ein Plus von 31% auf 72 Mrd. Euro beim Emissionserlös der europäischen Aktienemissionen.

Nach Einschätzung von Julian Schulze De la Cruz, Co-Leiter der Praxisgruppe Kapitalmarktrecht der Kanzlei Noerr, wird sich im kommenden Jahr "der IPO-Markt zweigeteilt präsentieren": "Die US-Börsen wirken auch auf immer mehr europäische Unternehmen wie ein Magnet, demgegenüber wird sich die Zahl der Neuemissionen in Deutschland und in Europa nicht nennenswert erhöhen", prognostiziert Schulze De la Cruz. Insbesondere die mangelnde Liquidität in deutschen Aktien bleibe ein Hemmschuh für künftige Börsengänge. Wenn das konjunkturelle Umfeld es zulasse, sei mit einer Erholung des IPO-Markts auf niedrigem Niveau ab dem zweiten Quartal zu rechnen. Dabei bleibe Nachhaltigkeit ein Thema für Investoren und insbesondere profitable Unternehmen aus Wachstumsfeldern wie Cleantech und (Bio-)Tech hätten an den Börsen die besten Chancen auf einen erfolgreichen Börsengang, meint Schulze De la Cruz.

Vorsichtiger Optimismus für 2024

Nach einem mageren Jahr für Börsengänge schüren Experten vorsichtigen Optimismus für 2024. Zehn bis zwölf Neuemissionen deutscher Unternehmen seien 2024 möglich, erwartet Martin Steinbach von der Unternehmensberatung EY. "Es hat sich ein gewisser Rückstand aufgebaut. Deshalb ist die Frage nur, wann und nicht ob die Aktivitäten wieder in Schwung kommen." Wegen der Lage der Osterfeiertage, die die Emittenten zu umgehen versuchen, seien die ersten Ankündigungen nicht vor April zu erwarten. "Wenn jetzt noch ein geopolitischer Schock kommt, ist das natürlich obsolet.", schränkt Steinbach ein. Auch Investmentbanker Michele Iozzolino von J.P. Morgan sieht eine "große Pipeline" von Firmen, die in ihren Vorbereitungen für einen Börsengang in Frankfurt schon weit seien.

2023 hat EY acht Börsengänge deutscher Unternehmen gezählt, davon waren aber nur vier klassische Neuemissionen – die anderen sind Spacs (Special Purpose Acquisition Companies). Laut der Beratungsfirma Kirchhoff Consult war das Emissionsvolumen in Frankfurt mit 1,9 Mrd. Euro das zweitgeringste der vergangenen zehn Jahre. Der mit einem Emissionsvolumen von 1,4 Mrd. Euro größte Börsengang einer deutschen Firma ging 2023 in New York statt in Frankfurt über die Bühne: Der amerikanisch-französische Mehrheitseigentümer der Traditionsmarke Birkenstock, der Finanzinvestor L Catterton, entschied sich für die USA, weil das Unternehmen dort die größten Wachstumsraten erwartet.

EY-Experte Steinbach sieht darin keinen Trend: Es hänge immer von der Strategie ab, wo ein Unternehmen an die Börse gehe. Grundsätzlich neigten Firmen zu ihrem heimischen Börsenplatz oder zu derjenigen Börse, an der die meisten Unternehmen der Branche gelistet seien. "Die beiden wichtigsten Elemente eines Börsengangs sind die Bewertung und die langfristige Kursentwicklung danach – beide müssen gesichert sein", sagt Investmentbanker Iozzolino. Nur 7% der Emittenten entschieden sich 2023 laut EY für einen Börsengang im Ausland, 12 von 15 "Auswanderern" aus Europa gingen in die USA. Weltweit sei 2023 ein durchschnittliches Jahr für IPOs gewesen, sagt EY-Mann Steinbach. Die Zahl der Neuemissionen fiel um 8% auf 1.298, das Volumen schrumpfte wegen des Einbruchs in Asien um 33% auf 123 Mrd. Dollar.

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