CursivEuropäischer Binnenmarkt

Hybride Lösungen für Europa

Immer mehr Geld für die EU ist der falsche Weg. Nur die Vollendung des Binnenmarkts sichert die Zukunft des Kontinents. Die Positionen von Ex-Ministerpräsident Enrico Letta und Bundesbankchef Joachim Nagel.

Hybride Lösungen für Europa

Hybride Lösungen für Europa

Immer mehr Geld für die EU ist der falsche Weg. Nur die Vollendung des Binnenmarkts sichert ihre politische Zukunft.

Von Stephan Lorz, Frankfurt

Vergleicht man Europa mit seinen globalen Konkurrenzmächten China und die USA, so fällt auf, wie schwach das Länderkonglomerat politisch dasteht. Es gibt zwar den Binnenmarkt, und allein den Daten nach ist die EU auch eine wirtschaftliche Großmacht, politisch ist sie aber leicht auseinanderzudividieren. Der Staatsbesuch von Xi Jinping in Paris, Budapest und Belgrad hat das exemplarisch aufgezeigt. Es reicht eben nicht, wie Enrico Letta, der frühere italienische Ministerpräsident, bei einer Diskussionsrunde in Frankfurt zusammen mit Bundesbankchef Joachim Nagel dargelegt hat, Eisenbahnverbindungen zwischen den europäischen Hauptstädten anzulegen, um Europa „erfahrbar“ zu machen.

Letztlich geht es um ein gemeinsames Verständnis, wie sich die europäische Gemeinschaft weiterentwickeln soll. Und hierbei tut sich ein Riss zwischen Ländern und politischen Gruppierungen auf: Die einen wollen Europa schlicht mit immer mehr Geld attraktiver machen, um gemeinsame Investitionen zu stemmen und europäische Industriechampions aufzubauen. Die anderen setzen auf flache, einheitliche Regulierungen und Ordnungspolitik, eine Vollendung des Binnenmarkts auf allen Ebenen.

Letta selbst hat durchaus ein Faible für Industriechampions nach dem „Airbus-Modell", weil sie dann mit den Wettbewerbern in den anderen Blöcken besser konkurrieren könnten. In Europa gebe es zu viele Märkte nebeneinander: „In der Telekommunikation treiben sich annähernd 100 Netzbetreiber mit jeweils fünf bis sechs Millionen Kunden herum, in den USA etwa drei mit jeweils mehr als 100 Millionen Kunden.“ Nagel setzt dagegen auf die Schaffung etwa einer einheitlichen und modernen IT-Infrastruktur als zentrale Aufgabe der Politik. Wenn diese finanziert sei, würden sich die entsprechend großen Akteure schon finden, sofern der Marktzugang leicht und einheitlich über ganz Europa hinweg sei.

Wie immer fangen die Ideen beim Geld an. Und hier wendet sich Nagel gegen Rufe nach immer mehr Geld. Vielmehr sollten die Strukturen vereinheitlicht und vereinfacht werden; eine Kärrnerarbeit, die viele in der Politik offenbar abschreckt. Gemeinsame Schulden der EU wie zu Coronazeiten sollten eine einmalige Angelegenheit bleiben, mahnt er und hält nicht viel von der Ausweitung der gemeinsamen Kreditaufnahme über das Programm „Next Generation EU“ hinaus. Das gilt seiner Meinung nach auch für die Rüstungspolitik. Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter hatte dieser Tage dafür einen EU-Fonds in Höhe von 400 Mrd. Euro gefordert.

Entscheidend ist für ihn ein Erfolg der Kapitalmarktunion. Denn die Nationalstaaten allein könnten die nötigen Mittel etwa für das Erreichen der Klimaziele nicht stemmen. Es brauche „riesige private Investitionen“, was nur über einen großen Kapitalmarkt gelingen könne. Um hier schneller voranzuschreiten, ist Nagel auch zu Kompromissen bereit und votiert für eine hybride Regulierung, etwa bei der Einlagensicherung. Das gefällt auch Letta: Nationale Regulierung nicht auslöschen, sondern integrieren – wie im Zusammenspiel von EZB und Bundesbank.

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