LEITARTIKEL

Asiatisches Powerplay

In China sind künftig Münchner Bier, Parmaschinken, Fetakäse und andere Gaumenspezialitäten aus der EU vor Billigimitaten und Namensklau geschützt. Umgekehrt gilt das auch für Tee und Reis aus dem Reich der Mitte. Das haben die EU-Handelsminister...

Asiatisches Powerplay

In China sind künftig Münchner Bier, Parmaschinken, Fetakäse und andere Gaumenspezialitäten aus der EU vor Billigimitaten und Namensklau geschützt. Umgekehrt gilt das auch für Tee und Reis aus dem Reich der Mitte. Das haben die EU-Handelsminister abgesegnet. Sosehr Produzenten nach diesem Schutz lechzen: Er verblasst im Vergleich zu dem Handelspakt, den Peking mit 14 Pazifikanrainern geschlossen hat. Fast ein Drittel der Weltwirtschaftsleistung und globalen Handelsströme, mehr als zwei Milliarden Menschen: Die Dimensionen der “Regional Comprehensive Economic Partnership, kurz: RCEP, sind gigantisch. Indien ist da nicht einmal eingerechnet, weil das Land auf halbem Verhandlungswege abgesprungen ist.Kein Wunder, dass die geballte Schlagkraft der wachstumsstärksten Weltregion die Europäer einschüchtert. Dabei ist RCEP erst einmal viel Fassade: Klimaschutz, Arbeits- und Sozialstandards, Eigentumsrechte, Subventionen und andere unfaire Handelspraktiken – all diese Aspekte spielten in den acht Jahre langen Verhandlungen kaum eine Rolle. Die Gefahr ist, dass China mit ebendieser Strategie Fakten schafft. Autos und Maschinen aus der EU werden an Attraktivität in der Region verlieren, wenn die EU einem Handelspakt mit Vietnam aus dem Frühjahr nicht weitere Abkommen folgen lässt. Das geplante Investitionsschutzabkommen mit China kommt kaum voran. Der EU-China-Gipfel ist der Pandemie zum Opfer gefallen. Und ein Abkommen, das nicht die Menschenrechtsverletzungen in China wie Zwangsarbeit adressiert, dürfte in der EU keine Chance auf Ratifizierung haben.Das Risiko, Handelspakte mit hehren Zielen der Sozial-, Umwelt- und Klimapolitik zulasten der Wirtschaftsbeziehungen zu überfrachten, droht auch an anderer Stelle. Das längst ausgehandelte Freihandelsabkommen mit Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay ist so gut wie unterschriftsreif. Es wäre ein passender Konter zu RCEP. Doch die Chancen schwinden. Während Juristen feilen und übersetzen, hat sich in weiten Teilen der EU ein solcher Widerstand breitgemacht, dass der gesamte Deal auf der Kippe steht. Der Grund: Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro lässt unbeirrt den heimischen Regenwald niederbrennen. Selbst die Bundesregierung ist von ihrer festen Absicht, den Mercosur-Deal während ihrer EU-Ratspräsidentschaft zu besiegeln und Zollerleichterungen in Milliardenhöhe zu ermöglichen, abgerückt. Sich selbst Klimaneutralität verordnen, aber gleichzeitig hinnehmen, dass die Lunge der Welt abfackelt? Aus diesem Dilemma gibt es für die EU kein Entkommen. Doch es löst sich auch nicht in Luft auf, indem man den Mercosur-Deal platzen lässt. Daher sollten Brüssel und Berlin weiter für das Abkommen werben und Bolsonaro mit anderen Mitteln zur Vernunft bringen.Bleibt der traditionelle Partner, die USA. Der designierte US-Präsident Joe Biden – welch glückliche Fügung -hat der EU noch vor seinem Einzug ins Weiße Haus die Hand ausgestreckt, um gemeinsame Sache in der China-Politik zu machen. Die Europäer müssen das Angebot annehmen, bevor Amerikas Schwenk nach Asien – der von Bidens einstigem Chef Barack Obama eingeleitete “Pivot to Asia” – eine irreversible Abkehr vom transatlantischen Bündnis einleitet. Die in Aussicht gestellte Rückabwicklung von Strafzöllen kann nur der Anfang sein. Es wäre naiv, auf eine Neuauflage von umfassenden Verhandlungen nach dem Vorbild des gescheiterten TTIP-Deals zu hoffen. Daran glauben nicht einmal eingefleischte Transatlantiker. Doch es gibt genügend andere Baustellen.Elementar sind substanzielle Fortschritte in Streitfragen, die Washington und Brüssel mehr denn je entzweien. Beide Seiten müssen schleunigst eine Lösung für den seit 2004 gärenden Konflikt über Subventionen in der Flugzeugindustrie finden. Nur so lässt sich China, das Boeing und Airbus mit dem Staatskonzern Comac Konkurrenz macht, etwas entgegensetzen. Priorität hat auch die Energiepolitik, hat sich der Konflikt über die Gaspipeline Nordstream 2 von Russland zur deutschen Ostseeküste doch zu einer existenziellen Frage für das transatlantische Verhältnis hochgeschaukelt.——Von Stefan RecciusChina setzt den Westen mit dem größten Handelspakt der Welt unter Druck. Optionen für eine kraftvolle Antwort gibt es – doch die EU droht sich zu verstricken.——