Im InterviewErik Norland

„Hohe Mietkosten dürften US-Inflation antreiben“

CME-Chefökonom Erik Norland sieht geringen Spielraum für Zinssenkungen der Fed. Die US-Arbeitseinkommen stiegen stark an, der Mietinflation droht ein Sprung nach oben. Damit stünden schwere Herausforderungen für die Märkte bevor.

„Hohe Mietkosten dürften US-Inflation antreiben“

Im Interview: Erik Norland

„Hohe Mietkosten dürften US-Inflation antreiben“

Sprung der Hypothekenzinsen verknappt Wohnungsangebot –Einkommensplus begrenzt Spielraum für Zinssenkungen

CME-Chefökonom Erik Norland sieht anhaltend geringen Spielraum für Zinssenkungen der Federal Reserve. Denn die US-Arbeitseinkommen stiegen noch deutlich stärker als vor der Pandemie, während neuerliche Sprünge der Mietinflation drohten. Damit stünden schwere Herausforderungen für die Märkte bevor.

Herr Norland, der US-Arbeitsmarkt hat sich im April abgekühlt. Wann wird die Federal Reserve endlich genügend Spielraum besitzen, um die Zinsen zu senken?

Die Märkte konzentrieren sich stark auf die Lohnentwicklung außerhalb der Landwirtschaft. Die Fed muss aber auch zwei andere Statistiken in Betracht ziehen: Die durchschnittliche stündliche Entlohnung und die das Mittel der wöchentlichen Arbeitsstunden. Wer die drei Kennzahlen multipliziert, erhält das gesamte Arbeitseinkommen. Dieses ist in den 2010er Jahren durchschnittlich um 4,5% pro Jahr gewachsen. Während der Pandemie hat das Arbeitseinkommen um 10 bis 12% angezogen, derzeit befindet es sich mit einem Plus von 5,7% noch immer auf erhöhten Niveaus. Für die Fed wäre es einfacher, die Zinsen zu senken, wenn sich die Kennzahl wieder in Richtung der Vorpandemielevel entwickelte und mit dem Produktivitätswachstum einherginge.

Welches Gewicht nimmt das Wachstum des Arbeitseinkommens im Vergleich zu erodierenden Ersparnissen der Verbraucher und gestiegenen Kreditkosten ein?

Im ersten Quartal waren die Konsumausgaben Quell der Schwäche beim BIP-Wachstum. Die Zahlen sind weniger stark gestiegen als erwartet. Die schrumpfenden Ersparnisse und hohe Kosten von Kreditkartenschulden tragen zu einer flachen Entwicklung der Ausgaben für verderbliche Güter und rückläufigen Aufwendungen für haltbare Güter bei. Es ist aber interessant zu sehen, dass Verbraucher bereit sind, mehr für Dienstleistungen auszugeben. So lange wie das gesamte Arbeitseinkommen noch mit so starken Raten wie zuletzt wächst, sollte dies gegenüber dem Rückgang der Ersparnisse und den hohen Kreditkosten überwiegen.

Erik Norland ist Chefvolkswirt der CME Group.
Erik Norland ist Chefvolkswirt der weltgrößten Terminbörse CME. Bei seinen Analysen legt er den Fokus auf die Folgen ökonomischer Trends für Zins-, Energie- und Agrar-Investmentprodukte. Norland ist seit 1996 in der Finanzbranche aktiv, seine Karriere begann er im Global Investment Management von Bankers Trust. Anschließend arbeitete er für Makro-Hedgefonds und sammelte dabei auch Erfahrungen im Vertrieb, bevor er sich der Vorläuferin der heutigen Natixis in Paris anschloss und im Fixed-Income-Geschäft Zentralbanken und supranationale Institutionen betreute. Seit 2015 ist der Absolvent der Columbia University für die CME aktiv.
CME Group

Inwieweit erschwert der hohe Bedarf an Arbeitskräften es noch, das Einkommens- mit dem Produktivitätswachstum in Einklang zu bringen?

Das ist eine komplexe Dynamik. Der Establishment Survey des US-Büros für Arbeitsstatistik weist noch immer eine hohe Rate an Lohnwachstum aus, während sich die Zahl der Jobs robust entwickelt. Das lässt in der Regel aber nur Rückschlüsse auf große bis mittelgroße Unternehmen zu Der monatliche Household Survey kann ein umfassenderes Bild zu kleineren Firmen vermitteln – und in diesem Segment hat sich die Beschäftigung weit schwächer entwickelt. Das zeigt sich auch am Bericht aus der vergangenen Woche, gemäß dem die US-Arbeitslosenquote sogar von 3,8 auf 3,9% gestiegen ist. Das Einkommenswachstum entwickelt sich auch deshalb langsam in Richtung des Produktivitätszuwachses, aber der Weg ist noch weit.

Das hohe Angebot an Treasuries schiebt die Renditen an.

Daneben wachsen auch die Mietkosten langsamer als noch vor einem Jahr. Wie wird dies die Kernrate der Inflation noch beeinflussen?

Mit einem Plus von 5,9% zum Vorjahr wachsen die Mietkosten noch immer rapide. Das ist Ausdruck dessen, was am Häusermarkt geschieht: Der extrem geringe Leerstand treibt die Mieten an. Ein Hauptgrund für die geringe Verfügbarkeit freien Wohnraums ist der Anstieg der Hypothekenzinsen. Die Rate auf 30-jährige Festzinshypotheken ist von 3% im Jahr 2021 auf heute über 7% geklettert. Das macht es nicht nur für Neukäufer schwieriger, in den Markt einzutreten – es erschwert auch die Lage für Kaufinteressenten, die bereits Immobilieneigentümer sind. Denn diese müssten ja ihre alte Hypothek zu einer niedrigen Rate ablösen und dann eine neue zu einem deutlich höheren Satz aufnehmen, um eine neue Immobilie zu finanzieren. Viele bleiben also auf ihrem Bestand sitzen.

Bilden die Mietkosten dies denn überhaupt schon vollständig ab?

Die Mietkosten folgen den Kaufpreisen für Immobilien normalerweise mit einem Abstand von anderthalb bis zwei Jahren. Das hat sich unter anderem gezeigt, nachdem die Kaufpreise 2021 stark gestiegen waren. Seither haben die Zinserhöhungen der Fed weitere Anstiege begrenzt. Doch angesichts von Hypothekenzinsen, die in einigen Fällen bei 8% und mehr liegen, und der geringen Verfügbarkeit steigen die Preise wieder. Das ist ein möglicher Indikator dafür, dass die Mietkosten nicht so schnell abflachen und die Kerninflation weiter antreiben werden.

Die staatlich gesponserte Bank Freddie Mac hat in Reaktion auf die hohen Zinsen jüngst einen Vorschlag eingereicht, gemäß dem sie am Markt für Zweithypotheken aktiv werden könnte. Inwieweit dürfte dies tatsächlich die Liquidität im Markt erhöhen und Finanzierungskosten drücken?

Das ist ein interessanter Vorschlag. Eine solche Reform könnte dazu beitragen, den Spread zwischen Hypothekenzinsen und der Rendite auf zehnjährige Staatsanleihen zu drücken, der aktuell bei über 3% liegt. Doch wenngleich die Risikoprämien schrumpfen könnten, wenn staatsnahe Institutionen wie Freddie Mac im Markt aktiv werden, würde sich der langfristige Verlauf am Hypothekenmarkt dadurch wohl kaum verändern. Die Finanzierungskosten im Segment sind in den vergangenen Jahrzehnten stets den Treasury-Renditen gefolgt. Damit sie fallen, müssten also erstmal die Zinsen sinken.

Wenn die Zahlungsausfälle bei Kreditkarten steigen und in großem Stil Gewerbeimmobilienkredite ausfallen, könnten wir eine tiefere Korrektur am Aktienmarkt sehen.

Wie stark wird das Überangebot an US-Staatsanleihen die Renditen noch antreiben?

Die USA leisten sich ein großes Haushaltsdefizit. Das impliziert, dass das Finanzministerium ungeachtet der Staatsanleihen, die ohnehin fällig werden, nach aktuellem Stand jährlich mehr als 1,5 Bill. Dollar an Treasuries neu begeben muss. Natürlich beeinflussen auch andere Faktoren die Renditen. Wenn die Zahlungsausfälle bei Kreditkarten steigen und in großem Stil Gewerbeimmobilienkredite ausfallen, könnten wir eine tiefere Korrektur am Aktienmarkt sehen. Dies wiederum könnte eine Flucht in Bonds zur Folge haben und die Renditen drücken. Das große Angebot an Treasuries ist allerdings durchaus ein Faktor, der die Renditen noch anschieben dürfte.

In welchem Umfang verschärft die Quantitative Straffung der Fed dieses Problem?

Die Fed hat ihre Bilanz zuletzt um 95 Mrd. Dollar pro Monat abgebaut. Setzt sie dieses Tempo für den Rest des Jahres fort, würde das also eine zusätzliche Reduktion um nahezu 800 Mrd. Dollar bedeuten. Dadurch gelangt noch mehr Angebot in einen bereits gesättigten Markt. Darüber hinaus haben die Mittel im amerikanischen Sozialversicherungssystem ihren Zenit erreicht, nachdem seit den 1980er Jahren ein großer Überschuss bestanden hatte. Das System kaufte seither US-Staatsanleihen als Investment. Nun, da die Mittel zurückgehen, veräußert die Sozialversicherung ihr Portfolio effektiv an andere Teile des Staates, die wiederum umso mehr Fremdmittel zur Finanzierung aufnehmen müssen.

Bei der Quantitativen Straffung verfügt die Fed jedoch über Flexibilität ...

Ja, die Fed kann ihren Bilanzabbau jederzeit aussetzen. Das haben wir ja im vergangenen Jahr gesehen, als die Probleme bei der Silicon Valley Bank und anderen Regionalbanken offenbar wurden. Darauf wuchs die Bilanz inmitten des Straffungszyklus kurzfristig um 120 Mrd. Dollar. Ein weiteres Beispiel bildet das Jahr 2018, damals musste die Fed wieder Anleihen zukaufen, nachdem es infolge ihrer Straffung zu Problemen am Repo-Markt gekommen war.

Kollabieren Regionalbanken, sendet das Kaskadeneffekte durch andere Sektoren.

Unterdessen steht der US-Gewerbeimmobilienmarkt unter Druck, die Liquidität schwindet und die Defaults steigen. Welche weitreichenderen ökonomischen Konsequenzen könnte das noch entfalten?

Die Bewertungen bestimmter Gewerbeimmobilien, insbesondere von Bürogebäuden und Einkaufszentren, gehen gewaltig zurück. Wenngleich sich der Markt in der Regel langsam bewegt und Banken Immobilienkreditverluste nicht schnell realisieren müssen, lastet diese Entwicklung schwer auf der Stimmung im Finanzsektor allgemein. Dass die Regionalbanken schwer leiden, erhöht die Risiken für die Gesamtwirtschaft. In den 1980er Jahren brachen in den USA mehr als 1.000 Sparkassen zusammen, damals brauchte es einen 400 bis 500 Mrd. Dollar schweren staatlichen Bail-out.

Eine Zahl, die heute wohl weit größer ausfallen würde?

Richtig, ein solcher Bail-out würde, bereinigt um das BIP-Wachstum, heute wohl 2,5 Bill. Dollar umfassen. Die Bankzusammenbrüche der 1980er Jahre spielten eine große Rolle in der Rezession der Jahre 1990 und 1991, die ebenfalls auf eine Phase der Quantitativen Straffung und eine invertierte Zinskurve folgte. Regionalbanken spielen auch in der heutigen Wirtschaft eine wichtige Rolle: Sie vergeben Darlehen an Immobilienentwickler, legen Hypotheken und Autokredite auf und sind eine wichtige Finanzierungsquelle für Kleinunternehmen. Kollabieren sie, sendet das Kaskadeneffekte durch andere Sektoren.

Das Interview führte Alex Wehnert.

Das Interview führte Alex Wehnert.