LEITARTIKEL

The Proof is in the Pudding

The Proof is in the Pudding" lautet ein britisches Sprichwort, das darauf hinweist, ein Gericht erst zu probieren, ehe man sich ein Urteil erlaubt. Kulinarische Qualität lässt sich eben nicht immer von außen erkennen. Mit der Autoindustrie hat es...

The Proof is in the Pudding

The Proof is in the Pudding” lautet ein britisches Sprichwort, das darauf hinweist, ein Gericht erst zu probieren, ehe man sich ein Urteil erlaubt. Kulinarische Qualität lässt sich eben nicht immer von außen erkennen. Mit der Autoindustrie hat es sich lange anders verhalten. Geringe Spaltmaße, edle Lackierung und edle Materialien im Innenraum dienten direkt als Erkennungsmerkmal hochwertiger Ingenieurskunst. Diese Unterscheidbarkeit gilt aber immer weniger. Mit der wachsenden Automatisierung und Digitalisierung der Entwicklungs- und Herstellungsprozesse ist der Abstand geschrumpft. Selbst wenn ein Tesla vielleicht noch nicht an die Innenraumqualität eines Mercedes, BMW oder Audi heranreicht, so ist die Qualität für die meisten Fahrer wohl doch zufriedenstellend. Beschwerden über den Elektroautobauer, der an der Börse mehr wert ist als alle deutschen Autobauer zusammen, hört man jedenfalls kaum.Die hohe Bewertung Teslas ist indes nicht darauf zu reduzieren, dass der Konzern von CEO Elon Musk einen großen Vorsprung im wachsenden Markt für batterieelektrisch betriebene Fahrzeuge hat. Eine wesentliche Stärke des Unternehmens – und die Schwäche der traditionellen Branchenvertreter – liegt in der Software. Und dieser Unterschied ist von außen eben nicht zu erkennen. The Proof is in the Pudding. Dass die “weiche Ware” künftig das wesentliche Unterscheidungsmerkmal von Autos sein wird, ist eine Theorie, die erst von Seiteneinsteigern wie dem Internetgiganten Google oder eben dem Newcomer Tesla vertreten wurde. Richtig ernst genommen wurde sie in der Branche scheinbar erst, als Tesla zeigte, dass sich mit einem Auto-Betriebssystem richtig Geld verdienen lässt.Noch stehen gerade in westlichen Automärkten nur wenige Kunden beim Händler und machen deutlich, dass Software über ihren Kauf entscheidet. Der schleichende Prozess dorthin hat allerdings längst begonnen. Und die deutschen Hersteller sind – mehr noch als in der Elektromobilität – mit Rückstand unterwegs. Wo steht die Branche im Sommer 2020? Wenn man sich die jüngsten Nachrichten ansieht, steht sie leider noch ziemlich am Anfang. Volkswagen hat den Chef der frisch aus der Taufe gehobenen Softwareorganisation nach wenigen Wochen verabschiedet. Die Zuständigkeit für die Fahrzeugsoftware wandert nun von Wolfsburg nach Ingolstadt zu Audi-Chef Markus Duesmann. Wunder sollte man von dem Ex-BMW-Manager nicht erwarten. Auch er kann eine über Jahre fragmentierte Softwarelandschaft nicht binnen weniger Monate angleichen. Mercedes hat derweil eine enge Partnerschaft mit Nvidia geschlossen und hofft darauf, mit dem US-Chiphersteller schneller ein Betriebssystem für alle Baureihen zu entwickeln. BMW ist vielleicht noch am weitesten mit der Software. Eine vergleichbare Integration wie bei Tesla gibt es aber nicht.Den Autokonzernen ist seit Jahren bewusst, dass Software mehr als Beiwerk ist. Sie betonen sogar regelmäßig, wie viele Zeilen Code in einem Fahrzeug stecken, als ließe sich die Qualität der Software am Umfang der Programmcodes ablesen. Unter Programmierern gilt eigentlich das Motto, dass weniger eindeutig mehr ist. Ihre elektronisch hochkomplexen Straßenkreuzer haben tausende Halbleiter und hunderte Sensoren verbaut. Diese werden von dutzenden Mini-Computern im Auto gesteuert, die sich dann noch von Fahrzeug zu Fahrzeug unterscheiden. Updates sind da zuweilen ein Alptraum. Tesla setzt dagegen auf einen leistungsstarken, zentralen Rechner für die gesamte Steuerung. Funktionale wie auch andere Updates lassen sich dank eines Fahrzeugbetriebssystems einfach, regelmäßig und drahtlos direkt auf alle Modellreihen aufspielen. Die Installation erfolgt in der heimischen Garage statt in der Werkstatt.Das erfüllt mehrere Funktionen: So wird die Kundenbindung gestärkt, weil der Autobesitzer lange nach dem Kauf noch neue Funktionen erhält. Zudem ist die Beziehung zum Kunden nach dem Kauf weniger von Negativerlebnissen wie einem teuren Werkstattbesuch geprägt, sondern kann durch positive Erlebnisse gefestigt werden. Der am Donnerstagabend präsentierte Zwischenbericht von Apple könnte der Automobilindustrie als Beispiel dienen. Der lange auf Hardwareverkäufe fokussierte iPhone-Anbieter hat zuletzt fast ein Viertel seines Umsatzes mit Dienstleistungen erzielt. Allerdings hat es Jahre gedauert, diesen Erlöspfeiler aufzubauen. Die Aktivitäten der vergangenen Wochen zeigen, dass die deutschen Autobauer in Sachen Software das Tempo erhöhen. Reichlich spät.——Von Sebastian SchmidDie komplexe Fahrzeug-IT lässt Neuerungen oft im Verborgenen stattfinden. Dadurch ist auch der Rückstand deutscher Autobauer nicht offensichtlich – aber real.——