LEITARTIKEL

Der Aufsichtsrat als Untertan

Im Wirecard-Skandal stehen mit Blick auf mögliches Kontrollversagen vor allem der Abschlussprüfer und die Aufsichtsorgane in der Kritik - teilweise kriechen sie selbst zu Kreuze. Dass die Anleger mit dem Aufsichtsrat eine eigene...

Der Aufsichtsrat als Untertan

Im Wirecard-Skandal stehen mit Blick auf mögliches Kontrollversagen vor allem der Abschlussprüfer und die Aufsichtsorgane in der Kritik – teilweise kriechen sie selbst zu Kreuze. Dass die Anleger mit dem Aufsichtsrat eine eigene Sicherheitseinrichtung im Unternehmen haben, wird in der Diskussion über Verantwortlichkeiten erstaunlich wenig thematisiert. Die Gremienmitglieder werden in der Öffentlichkeit schlicht als blinde Vertraute des ehemaligen Wirecard-CEOs oder ahnungslose Berater abgetan, die sich vom vermeintlichen Erfolg des Überfliegers blenden ließen. Das wirft die Frage auf, warum die außenstehenden Aktionäre nicht längst eingegriffen haben und Aufsichtsräte durchsetzten, denen sie die nötige Kompetenz und Unabhängigkeit zutrauen konnten.In den Hauptversammlungen der vergangenen zehn Jahre haben die Aktionäre wenig Flagge gezeigt. Erstmals 2019 gab es mehr als 10 % Neinstimmen in der Entlastung des Aufsichtsrats. Zwei gewählte Aufsichtsrätinnen immerhin haben von sich aus das Weite gesucht. Die ehemalige Investmentbankerin Tina Kleingarn legte ihr Mandat nach eineinhalb Jahren Ende 2017 nieder, die im Juni 2018 bestellte Managerin Susana Quintana-Plaza schmiss im April dieses Jahres in einer Gremiensitzung hin.Rechenschaftspflichtig ist vor allem der langjährige Aufsichtsratschef Wulf Matthias, der das Gremium seit 2008 leitete und erst mit Zuspitzung der Vorwürfe Anfang dieses Jahres von dieser Position zurücktrat und den Stab an den 2019 gewählten früheren CFO der Deutschen Börse, Thomas Eichelmann, übergab. Der 75-jährige ehemalige Banker, geschätzt in seiner Branche, blieb im Aufsichtsrat und kommentierte den Wechsel devot mit den Worten “Es war mir eine besondere Ehre, dieses außergewöhnliche Unternehmen und seine Führungsmannschaft in den vergangenen elf Jahren als Aufsichtsratsvorsitzender begleiten zu dürfen”. Er hat sich offensichtlich eher als Untertan verstanden, denn als ebenbürtiger Governance-Vertreter.Wenn man sich bei Wirecard die Entwicklung der hierzulande oft als Vorzeigemodell gefeierten “Gewaltenteilung” im dualen System der Unternehmensführung ansieht, muss man den Eindruck gewinnen, dass dort der ehemalige Vorstandschef als unantastbarer Alleinherrscher agieren durfte. Anfällig für solche Fehlentwicklungen sind typischerweise Gesellschaften, wo ein Gründer als Visionär die Fäden in der Hand behalten will und wohlwollende Vertraute im Aufsichtsrat installiert, die ihm möglichst nicht in die Quere kommen. Spätestens mit Eintritt in den Kapitalmarkt muss mit Friends & Family jedoch Schluss sein.Bei Wirecard ist die Professionalisierung des Aufsichtsrats viel zu spät in Gang gekommen. Das Unternehmen war 2005 über ein Reverse IPO an die Börse gegangen und ein Jahr später in den TecDax aufgerückt. Der Aufsichtsrat bestand bis 2016 aus drei (!) Mitgliedern, wurde dann auf fünf und 2018 vor dem Aufstieg in den Dax auf sechs aufgestockt. Arbeitnehmer waren nicht vertreten, weil die Mitarbeiterzahl im Inland die nötige Grenze nicht erreichte. Einen Prüfungsausschuss hielt das Gremium erstmals Anfang 2019 für notwendig. Da kein anderer Financial Expert zugegen war, übernahm Aufsichtsratschef Matthias das Amt erst mal in Personalunion – entgegen den Kodex-Vorgaben.Der Aufsichtsrat von Wirecard war auch nicht untätig. Er hat nach den Vorwürfen von außen immer wieder Untersuchungen eingeleitet, zuletzt den Bericht der KPMG, der viele Defizite offenlegt. Die unglaubliche Feststellung des Prüfers, dass keine Protokolle zu Vorstandssitzungen erstellt wurden, macht jedoch das ungeheuerliche Machtgefüge deutlich.Wirecard hat sich schwergetan, die Governance an die Kodex-Standards anzupassen, wobei mit der Amtsübernahme von Matthias immerhin Bemühungen erkennbar wurden. Vorher waren die Vorstandsgehälter Verschlusssache, und mit Hinweis auf “zunehmende Konkurrenzpiraterie” sah Wirecard bis 2010 davon ab, den Geschäftsbericht im Internet zugänglich zu machen. Negativ ist zu verbuchen, dass der Aufsichtsrat erst im Dezember 2017 konkrete Ziele für seine Zusammensetzung und ein Kompetenzprofil für sich beschlossen hat. Ebenfalls viel zu spät wurde 2016 die erfolgsorientierte Vergütung des Aufsichtsrats abgeschafft, die sich am operativen Ergebnis vor Zinsen und Steuern orientierte – ohne mehrjährigen Vergleich. Zuletzt hat Wirecard zwar kaum noch Abweichungen vom Kodex erklärt – doch offenbar ein Lippenbekenntnis. ——Von Sabine WadewitzDie Verantwortung des Aufsichtsrats wird in der öffentlichen Diskussion über den Wirecard-Skandal erstaunlich wenig thematisiert.——