LSE und Euronext verhandeln exklusiv

Mehrländerbörse könnte Borsa Italiana bekommen - Zentrale Befugnisse sollen in Mailand angesiedelt werden

LSE und Euronext verhandeln exklusiv

Die London Stock Exchange (LSE) nimmt exklusive Verhandlungen mit der Euronext über die Mailänder Börse auf. Auch die Deutsche Börse und die Schweizer Six hatten Gebote für die Borsa Italiana abgegeben. Euronext hat politischen Rückhalt in Italien, weil sie zusammen mit CDP und Intesa Sanpaolo angetreten ist. bl/wü Mailand/Paris – Der bisherige Eigentümer, die Londoner LSE, hat vor dem Wochenende bekanntgegeben, exklusive Verhandlungen mit Euronext aufzunehmen. In Mailänder Börsenkreisen wurde am Freitag kolportiert, dass Euronext das niedrigste Angebot für die mit 3,5 Mrd. bis 4 Mrd. Euro bewertete Borsa Italiana abgegeben habe. Die Offerte soll, so heißt es in Mailand, zwischen 3,5 und 3,8 Mrd. Euro liegen und durch Barmittel, die Aufnahme von Schulden und eine der CDP und Intesa Sanpaolo vorbehaltene Kapitalerhöhung finanziert werden. Allerdings kursieren im Umfeld der die Transaktion begleitenden Banken auch unbestätigte Meldungen über höhere Zahlen.Euronext hat die staatliche Förderbank Cassa Depositi e Prestiti (CDP) und Intesa Sanpaolo mit an Bord geholt. CDP soll dadurch eine Beteiligung an Euronext in Einklang mit den größten Aktionären erhalten – die staatliche Caisse des dépôts et consignations (CDC) und Euroclear mit je 8 %. Euronext hat von Anfang an massive politische Unterstützung genossen, vor allem von Wirtschaftsminister Roberto Gualtieri. Sowohl Six als auch Deutsche Börse hatten zuletzt weitgehende Zugeständnisse an die italienische Seite gemacht, etwa im Hinblick auf die personelle Repräsentanz ihrer Vertreter in Entscheidungsgremien, Investitionen und Autonomie.Die Mehrländerbörse verspricht, zentrale Befugnisse von Euronext in Mailand anzusiedeln, darunter die Leitung der Finanzfunktionen. Der künftige Chairman soll Italiener sein. CDP soll ebenfalls einen Sitz im Verwaltungsrat erhalten. Der Chef der Anleihenhandelsplattform MTS soll dem erweiterten Vorstand angehören und innerhalb der Gruppe die Verantwortung für den Bereich Fixed Income bekommen. Zudem soll die Cassa di Compensazione e Garanzia das Clearing House der Gruppe werden. Die Mehrländerbörse verspricht auch, dem Zentralverwahrer Monte Titoli eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung ihrer Ziele in dem Bereich zu geben und die Börsenaufsicht Consob in ihr Regulatoren-Kolleg einzuladen.Euronext-CEO Stéphane Boujnah bestreitet, dass Euronext den Zuschlag rein aus politischen Gründen erhalten hat. Die Mehrländerbörse habe ein föderales Modell, das seit 20 Jahren funktioniere, und ein wettbewerbsfähiges Angebot vorgelegt, das den Interessen Gualtieris an einer echten europäischen Lösung Rechnung trage, argumentiert er. Das föderale Modell von Euronext böte der Borsa Italiana Entwicklungsmöglichkeiten. Dass die LSE so rasch Exklusivverhandlungen mit Euronext aufnimmt, erklären Beobachter damit, dass sie Interesse an einem schnellen Verkauf hat, um kartellrechtliche Probleme bei der geplanten Übernahme von Refinitiv zu vermeiden. Rom verfügt über diverse Vetorechte, um einen Verkauf zu verzögern oder zu verhindern. LSE verweist jetzt darauf, es bestehe keine Sicherheit, dass die Verhandlungen mit Euronext erfolgreich abgeschlossen werden. Im Übrigen stehe ein Verkauf unter dem Vorbehalt der Entscheidung der europäischen Kartellbehörden am 16. Dezember. Sollten die Auflagen gering sein, sei es auch möglich, dass die Borsa Italiana überhaupt nicht oder nur Teile verkauft werden.Mailänder Kreise glauben, dass ein aufgebessertes Angebot von Six oder Deutscher Börse noch Chancen haben könnte, zumal die LSE ihren Aktionären erklären müsste, warum sie ein niedrigeres Angebot akzeptieren würde. Der Ablauf des Verfahrens und die fehlende Transparenz seien nicht gut für das Image Italiens bei ausländischen Investoren, heißt es in Mailand. Rom weitet seinen Einfluss in der Wirtschaft immer weiter aus, wobei meist die CDP als Werkzeug dient.Deutsche Börse teilte mit, man nehme die Entscheidung zur Kenntnis. Man habe ein interessantes Angebot vorgelegt, das für Mailand attraktiv gewesen wäre und strategische Synergien geschaffen hätte. Dabei hätte Mailand ein hohes Maß an Autonomie genossen. Six wollte zunächst keinen Kommentar abgeben.