IM BLICKFELD

In den USA sind Millionen von Jobs permanent verloren

Von Peter De Thier, Washington Börsen-Zeitung, 16.9.2020 Nach dem tiefen Einbruch, der durch Stellenstreichungen als Folge der Coronakrise ausgelöst worden war, hat sich der US-Arbeitsmarkt in den vergangenen Monaten wieder zu erholen begonnen....

In den USA sind Millionen von Jobs permanent verloren

Von Peter De Thier, WashingtonNach dem tiefen Einbruch, der durch Stellenstreichungen als Folge der Coronakrise ausgelöst worden war, hat sich der US-Arbeitsmarkt in den vergangenen Monaten wieder zu erholen begonnen. Mittlerweile mehren sich aber wieder die Zeichen dafür, dass viele der Jobs, die gerade in der Anfangsphase der Pandemie abgebaut worden waren, permanent verloren sind. Selbst im April, als in der US-Wirtschaft fast 21 Millionen Arbeitsplätze vernichtet wurden, herrschte noch vorsichtiger Optimismus. Experten gingen davon aus, dass der Stellenabbau nur vorübergehend sein würde. Sobald die Kontaktbeschränkungen wieder gelockert würden, könnten sich das Gastgewerbe und andere Dienstleister erholen, die auf Kunden angewiesen sind, die in Person erscheinen. Dann würden auch die Jobs wieder zurückkehren, hieß es. Tatsächlich ging es in den darauffolgenden Monaten wieder bergauf. Von Mai bis August wurden etwa 8,5 Millionen neue Stellen geschaffen oder zuvor eliminierte wiederhergestellt. Gleichwohl nehmen weiterhin mehr als 13 Millionen Personen im erwerbsfähigen Alter, die gern arbeiten würden, schon seit längerer Zeit die wöchentliche Arbeitslosenhilfe in Anspruch. Mittlerweile hat der verhaltene Optimismus wieder erkennbar nachgelassen. Zum einen weil die Pandemie längst nicht überwunden ist. Der Mangel an politischer Führungsstärke in Washington sowie die fehlende Konsequenz bei der Einhaltung von Kontaktbeschränkungen führen dazu, dass einige Staaten wegen steigender Erkrankungszahlen bei der Öffnung ihrer Wirtschaft zurückrudern mussten. Auch wenn seltener von der Gefahr einer “Double-Dip-Rezession” die Rede ist, gilt das Risiko eines zweiten, vielleicht nicht ganz so tiefen Konjunktureinbruchs wie im Frühjahr keineswegs als behoben.Hinzu kommt auch die Erkenntnis seitens vieler, vor allem kleiner und mittelgroßer Firmen, aber auch einiger prominenter Großkonzerne, beispielsweise im Einzelhandel, dass sie permanent den Betrieb werden einstellen müssen. Dieses Phänomen lässt sich unter anderem auf technologische und strukturelle Veränderungen zurückführen. Ein spezifischer Auswuchs der Pandemie besteht darin, dass die zunehmende Beliebtheit von Homeoffice und Videokonferenzen Arbeitsabläufe grundlegend verändert hat. Industrien, die von der Trennung des Arbeitsplatzes vom Eigenheim leben, beispielsweise Bauunternehmen, die auf gewerbliche Immobilien spezialisiert sind, bekommen die Folgen bereits zu spüren.Der Arbeitsmarktdienstleister Oxxford Information Technology sagt jedenfalls voraus, dass dieses Jahr 4 Millionen US-Firmen dichtmachen werden. Zum Vergleich: Die Zahl der Neugründungen wird demnach bis zum Jahresende wohl nur ein knappes Drittel dieser Zahl betragen. Zugleich könnte die Langzeitarbeitslosigkeit bis Anfang kommenden Jahres einen historischen Höchststand erreichen. Mehr Langzeitarbeitslose Diese unterscheidet sich von den permanent eliminierten Jobs darin, dass Betroffene seit mindestens 26 Wochen vergeblich eine Beschäftigung suchen, aber früher oder später doch noch fündig werden. Im August lag die Zahl der Langzeitarbeitslosen in den USA bei 1,6 Millionen und könnte nach Expertenschätzungen bis Anfang 2021 auf mehr als 5,5 Millionen klettern. Viele Zahlen, sowohl die der Firmen, die pleitegehen, als auch die der Erwerbslosen, die nach der Beurlaubung von ihrem früheren Arbeitgeber nicht wieder aufgenommen werden und auch keine neue Stelle finden, übertreffen historische Höchststände während der Depression der dreißiger Jahre. Ökonomen der Harvard-Universität rechnen noch vor Jahresende mit 8,7 Millionen permanent Arbeitslosen. Andere erwarten einen Anstieg auf über 10 Millionen.Die Ökonomin Marianne Bertrand von der University of Chicago stellt fest, dass die Langzeitarbeitslosigkeit insbesondere ärmere Haushalte trifft. Ironischerweise, so die Wirtschaftsprofessorin, “könnten Arbeitnehmer mit weniger fachlicher Ausbildung es leichter haben, in einer anderen Branche wieder einen Job zu finden”.Angesichts der Bedeutung des Privatkonsums für die US-Wirtschaft – so machen die Konsumausgaben fast 70 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus – könnten die Stellenverluste folglich gravierende und dauerhafte gesamtwirtschaftliche Auswirkungen haben. Zwar konnten der Kongress und die Regierung im März diese Folgen durch ein 2,15 Bill. Dollar teures Konjunkturpaket abfedern, welches die Arbeitslosenhilfe großzügig erweiterte und zudem einmalige Direkthilfen für Haushalte vorsah. Als Folge hiervon stiegen prompt sowohl die Privateinkommen als auch der Konsum.Seit Monaten ringen Demokraten und Republikaner aber um ein weiteres Hilfspaket, das vergangene Woche so gut wie begraben schien. Gestritten wurde unter anderem um die Höhe des zusätzlichen Arbeitslosengeldes, mit dem der Bund die Hilfe aus den Kassen der Bundesstaaten ergänzt. Die Opposition hatte wie in dem Gesetz vom März auf zusätzlichen 600 Dollar pro Woche bestanden, während die Republikaner nur ein gutes Drittel davon bewilligen wollen. Ohne diese zusätzlichen Bezüge ist jedenfalls kaum zu erwarten, dass der Privatkonsum sich ähnlich wie im Frühjahr auch diesmal wird erholen können.