LEITARTIKEL

Argentiniens Schuldentango

Kurz vor dem Stichtag scheinen die Chancen auf ein Übereinkommen im argentinischen Umschuldungsprozess gering. Am Dienstag läuft die Frist ab, die Argentinien den Anlegern gab, die Titel nach US-Recht besitzen. Es geht um Anleihen im Gesamtwert von...

Argentiniens Schuldentango

Kurz vor dem Stichtag scheinen die Chancen auf ein Übereinkommen im argentinischen Umschuldungsprozess gering. Am Dienstag läuft die Frist ab, die Argentinien den Anlegern gab, die Titel nach US-Recht besitzen. Es geht um Anleihen im Gesamtwert von etwa 67 Mrd. Dollar. Die Gespräche, die sofort nach der Regierungsübernahme durch den Linksperonisten Alberto Fernández informell begonnen hatten, gestalteten sich problematisch.Martín Guzmán, der junge Finanzminister, hat seine Gegenüber mit mehreren Capricen erheblich irritiert. So hat er den Gläubigern keinen konkreten finanzpolitischen Plan für die kommenden Jahre vorlegen wollen – offenbar um keine Auflagen für strukturelle Sparprogramme zu unterschreiben. Er verweigert bis heute direkte Verhandlungen mit den Wall-Street-Fonds, angeblich, um keine Deals einzugehen, die ihn später zum Ziel von Rechtsklagen machen könnten. Stattdessen verließ er sich auf die Strategie, den Anlegern vier festgeschnürte Komplettpakete zur Annahme zu präsentieren, die jeweils das Etikett “allerletzte Offerte” trugen und allesamt abgelehnt wurden. Und Guzmán suchte und fand offenbar auch Alliierte in der neuen Führung des Internationalen Währungsfonds. Dieser hat Argentinien etwa 45 Mrd. Dollar vorgeschossen und verlangt von den privaten Gläubigern deutliche Nachlässe, die es dem Land erlauben, auch die Außenstände beim IWF zu begleichen. Zudem spielte Guzmán auf Zeit. Der 37-Jährige hatte als wissenschaftlicher Assistent des Wall-Street-Kritikers Joseph Stiglitz sämtliche größeren Umschuldungsverfahren der letzten Jahre analysiert und spekulierte darauf, dass die Coronakrise Argentinien helfen könnte. Guzmán glaubte, dass eine Serie von Staats- und Unternehmensbankrotten Argentiniens Gläubiger insgesamt schwächen und so für einen weicheren Abschluss zugänglicher machen würde.Dieser Plan ist offenbar gescheitert, wie auch die Strategie, die heterogenen Anlegergruppen zu spalten. Am Montag bekam der Finanzminister schriftlich mitgeteilt, dass eine Mehrheit der Anleger das letzte argentinische Angebot vom 3. Juli ablehnt. Der weltgrößte Vermögensverwalter BlackRock konnte offenbar nicht nur die drei bisher separat verhandelnden Anlegergruppen aus Fonds zusammenbinden, sondern auch unter den Kleinanlegern genügend Mitstreiter gewinnen, um den argentinischen Vorschlag scheitern zu lassen. Laut dem Brief vom Montag lehnten 60 % der Altgläubiger, deren Anleihen aus der Umschuldung von 2005 stammen, sowie 51 % der Besitzer der neuen Titel Argentiniens letzte Offerte ab.Die Südamerikaner bieten etwa 53,5 Dollar auf einen ursprünglichen Wert von 100, die Gläubiger verlangen etwa 3 Dollar mehr. Die Gesamtdifferenz liegt bei nicht mehr als 6 Mrd. Dollar. Das ist sicher einiges an Geld für ein durch Rezession und Pandemie total zerstörtes Land. Aber ist das, angesichts der weiterhin beträchtlichen Ressourcen Argentiniens, wirklich ein Betrag, an dem die Verhandlungen scheitern werden? Der gesunde Menschenverstand deutet auf ein Nein hin. Denn beide Seiten hätten mehr zu verlieren als zu gewinnen. Auch wenn Guzmán und seine Patronin Cristina Kirchner einen allfälligen Fehltritt für ihre antikapitalistische Epik ausschlachten könnten, wäre eine Konjunkturwende massiv erschwert, wenn Staat und Unternehmen ohne westliche Kredite auskommen und ihre besten Assets womöglich an die schon wartenden Chinesen veräußern müssten. Und die Gläubiger müssten nicht nur jahrelange Prozesse mit ungewissem Ausgang in Kauf nehmen. Sie würden sich auch der Kritik von internationalen Finanzinstitutionen und von Regierungen aussetzen, denn Argentiniens Umschuldung ist längst eine Art Musterverfahren für viele weitere anstehende Zahlungsausfälle.Sollte Argentiniens Angebot nicht angenommen werden, gibt es drei mögliche Szenarien. Erstens: Beide Seiten einigen sich auf eine Verlängerung, und Argentinien verbessert sein Angebot. Es zirkuliert das Gerücht einer neuen Frist bis zum 30. August. Zweitens: Argentinien könnte bei der US-Börsenaufsicht eine Unterbrechung der Verhandlungen erbitten – etwa mit Verweis auf die großen Probleme der Coronakrise. Dazu wäre die Zustimmung der Gläubiger erforderlich. Drittens: Die Regierung in Buenos Aires erklärt die Gespräche für gescheitert. Dabei könnte sie signalisieren, dass das bisherige Angebot weiter gelte, und darauf hoffen, die BlackRock-Allianz zu schwächen.——Von Andreas FinkArgentinien und seine Gläubiger überziehen sich gegenseitig mit Ultimaten – die Umschuldungsgespräche drohen krachend zu scheitern.——